Dr. Nils Häck, Dr. Julian Böhmer
Rz. 420
Zivilrechtliche Grundlagen (Deutsches Erbrecht). Das Rechtsinstitut des Vermächtnisses (§ 1939 BGB) dient dem Erblasser v.a. dazu, testamentarisch einer Person, die nicht Erbe wird (Ausnahme: Vorausvermächtnis, § 2150 BGB), einen Vermögensvorteil zuwenden. Das Vermächtnis ist eine Zuwendung von Todes wegen, durch die der Erblasser dem Begünstigten nur einen schuldrechtlichen Anspruch auf eine Leistung gegen den oder die beschwerten Erben (§ 2147 BGB) zuwendet, der Vermächtnisgegenstand also nicht dinglich unmittelbar auf den Vermächtnisnehmer übergeht (§ 2174 BGB, sog. Damnationslegat). Möglich ist auch die Zuwendung eines Vermächtnisses an einen Erben (Vorausvermächtnis, § 2150 BGB), welches dem Erben neben seinem Erbteil zugewendet wird und (anders als bei einer Teilungsanordnung, § 2048 BGB) nicht auf seinen Erbteil anzurechnen ist. Eigentümer des vermachten Gegenstands wird zunächst der Erbe, bis er in Erfüllung des Vermächtnisanspruchs das Eigentum an den Vermächtnisnehmer überträgt. Die Forderung des Vermächtnisnehmers entsteht grds. mit dem Erbfall (§ 2176 BGB). Der Anfall des Vermächtnisses kann aber auch aufschiebend bedingt oder unter Bestimmung eines Anfangstermins angeordnet sein, sodass es zeitlich deutlich nach dem Erbfall anfallen kann (§ 2177 BGB). Der Erblasser kann die Bestimmung, wer letztlich das Vermächtnis erhalten soll, auch der Bestimmung durch die beschwerten Erben oder einen Dritten überlassen (§§ 2151, 2152 BGB).
Rz. 421
Exkurs: Vindikationslegat nach ausländischem Erbrecht. Auch in den hier zu betrachtenden Konstellationen (in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtiger Erblasser) ist es denkbar, dass nicht deutsches Erbrecht Anwendung findet, sondern das Erbrecht eines ausländischen Staates maßgeblich ist. Sieht das ausländische Erbrecht einen unmittelbar dinglichen Übergang des Vermächtnisgegenstands vom Erblasser auf den Vermächtnisnehmer vor (sog. Vindikationslegat), kommt es bereits zivilrechtlich nicht zu einem Zwischenerwerb des Erben, sondern einem unmittelbar erfolgenden Erwerb des Vermächtnisnehmers vom Erblasser. In einem solchen Fall ist grds. auch ertragsteuerrechtlich nicht von einem Zwischenerwerb des Erben auszugehen, so dass es sich von vornherein um eine unmittelbare unentgeltliche Übertragung der Anteile vom Erblasser auf den Vermächtnisnehmer i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 handelt.
Rz. 422
Tatbestandsverwirklichung. Die zivilrechtlichen Bestimmungen (s. Rz. 421) lassen die Fülle an Sachverhaltsvarianten im Zusammenhang mit einem Vermächtnis erahnen. Sind Anteile i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG Gegenstand des Vermächtnisses, so stellt sich auf dieser erbrechtlichen Grundlage bezogen auf § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 die Frage, ob (i) die Anteile ertragsteuerrechtlich unmittelbar vom Erblasser auf den Vermächtnisnehmer übergehen (ertragsteuerrechtlicher Direkterwerb des Vermächtnisnehmers) oder (ii) ob der oder die Erbe(n) die Anteile von Todes wegen erwirbt und sie anschließend unentgeltlich auf den Vermächtnisnehmer überträgt (ertragsteuerrechtlicher Durchgangserwerb des Erben bzw. der Erbengemeinschaft). Betrachtet man zunächst – wegen der nach gesetzgeberischem Willen weiterhin gewollten Unterscheidung zwischen der Übertragung durch Rechtsgesschäft unter Lebenden und durch Erwerb von Todes wegen (s. Rz. 367) – aufgrund der erbschaftsteuerrechtlichen Prägung des Begriffs "Erwerb von Todes wegen" die Regelungen des ErbStG zum Vermächtnis, so ist zu sehen, dass der Erbe von Todes wegen gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 ErbStG (auch) den Vermächtnisgegenstand erwirbt, die Vermächtnislast aber bereicherungsmindernd nach § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG abgezogen wird. Beim Vermächtnisnehmer ergibt sich bzgl. des Vermächtnisanspruchs ebenfalls ein Erwerb von Todes wegen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Fall 2 ErbStG) und zwar ebenfalls zum Zeitpunkt des Erbfalls, d.h. unabhängig davon, wann der Vermächtnisanspruch erfüllt wird. Für § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ist hierdurch zwar insoweit nichts gewonnen, als auf Basis des ErbStG sich sowohl ein Durchgangserwerb des Erben als auch ein Direkterwerb des Vermächtnisnehmers argumentieren ließe. Für Zwecke des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ist zu differenzieren: Die gesetzlich angelegte Anbindung an erbschaftssteuerrechtliche Begrifflichkeiten wird durch die ertragsteuerrechtliche wirtschaftliche Betrachtungsweise überlagert (s.o.). § 6 zielt primär auf die Absicherung des deutschen Besteuerungszugriffs auf die im Inland erwirtschaften stillen Reserven. Auch für § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 kommt es darauf an, wann und wem das wirtschaftliche Eigentum i.S.v. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO an den Anteilen i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG zuzurechnen ist. Wird – wie im Regelfall – der Erbe zunächst zivilrechtlicher wie wirtschaftlicher Eigentümer, muss § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 den Erben in den Blick nehmen, da bspw. bei einem pflichtwidrigen Verkauf der Anteile durch den Erben die deutschen Besteuerungsrechte betroff...