Prof. Dr. Heinz-Jürgen Pezzer
Leitsatz
1. Im Anwendungsbereich des § 32a KStG ist nach § 32a Abs. 1 Satz 2 KStG als lex specialis zu den Korrekturtatbeständen der §§ 171 ff. AO grundsätzlich von einer Ablaufhemmung für die Festsetzung der Einkommensteuer im Zusammenhang mit der Berücksichtigung einer vGA auszugehen, solange über diese vGA in einem Körperschaftsteuerbescheid nicht bestandskräftig entschieden worden ist.
2. Die Regelung führt nur dann nicht zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen echten, sondern zu einer verfassungskonformen sog. unechten Rückwirkung, wenn im Zeitpunkt der Einführung des § 32a KStG die Festsetzungsverjährung für den Einkommensteuerbescheid noch nicht eingetreten war.
Normenkette
§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG, § 32a Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 8b Abs. 1 Sätze 2 bis 4, § 34 Abs. 13c Satz 1 KStG i.d.F. d. JStG 2007, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 100 Abs. 1 GG, § 169 Abs. 1 Satz 1, § 171 Abs. 10, § 181 Abs. 1 bis 3 AO
Sachverhalt
Der Kläger war Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH. Im Streitjahr (1999) übertrug die GmbH ihm gegen Verzicht auf seine Pensionszusage ihre Ansprüche gegenüber einer Pensionsversicherung, die sie im eigenen Namen zur Rückdeckung für sich abgeschlossen hatte. In seiner Einkommensteuererklärung berücksichtigte der Kläger diesen Tausch nicht, weil seiner Ansicht nach die monatlichen Beträge erst bei Zufluss der Pensionszahlungen nach Eintritt des Versorgungsfalles der Einkommensbesteuerung zu unterwerfen waren.
Nach einer Außenprüfung kam der Prüfer zu der Auffassung, dass die Übertragung der Ansprüche aus der Rückdeckungsversicherung auf den Kläger eine vGA darstelle. Daraufhin setzte das FA die Einkommensteuer gegen den Kläger nach § 32a Abs. 1 Satz 1 KStG höher fest, indem es die Einkünfte aus Kapitalvermögen heraufsetzte, nachdem die vGA im Körperschaftsteueränderungsbescheid bei der GmbH einkommenserhöhend angesetzt worden war.
Das FG gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt (FG München, Urteil vom 24.10.2011, 7 K 2803/09, Haufe-Index 3253209, EFG 2012, 1878).
Der Begriff der Festsetzungsfrist in § 32a KStG setze voraus, dass diese Frist bei Inkrafttreten der Vorschrift am 19.12.2006 noch nicht abgelaufen war. Dies folge aus der Funktion der Regelung als Ablaufhemmung. Denn eine Ablaufhemmung solle einen Fall lediglich offenhalten, nicht aber eine bereits abgelaufene Festsetzungsfrist erneut in Lauf setzen.
Danach sei im Streitfall Festsetzungsverjährung eingetreten. Anhaltspunkte für eine leichtfertige Steuerverkürzung i.S.v. § 169 AO, die zur Verlängerung der Festsetzungsfrist hätte führen können, gebe es nicht.
Entscheidung
Auf die Revision des FA hob der BFH die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Das angefochtene Urteil verstoße gegen § 169 AO, weil das FG eine leichtfertige Steuerverkürzung ausgeschlossen habe, ohne dazu ausreichende tatsächliche Feststellungen zu treffen.
Das FG habe außerdem § 32a KStG falsch ausgelegt. Nach Maßgabe des Abs. 1 Satz 2 der Vorschrift sei grundsätzlich von einer Ablaufhemmung für die Festsetzung der Einkommensteuer im Zusammenhang mit der Berücksichtigung einer vGA auszugehen, solange über diese vGA in einem Körperschaftsteuerbescheid nicht bestandskräftig entschieden worden sei (Einzelheiten dazu oben in den Praxis-Hinweisen).
Das FG habe allerdings nicht geprüft, ob § 32a KStG in Fällen der vorliegenden Art gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verstößt. Wenn die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer bereits bei Inkrafttreten des § 32a Abs. 1 Sätze 1 und 2 KStG abgelaufen gewesen sei, liege eine echte Rückwirkung vor, die regelmäßig – vorbehaltlich besonderer Rechtfertigungsgründe, die hier nicht ersichtlich seien – verfassungsrechtlich unzulässig sei.
Die Sache sei nicht spruchreif:
Dem Senat sei eine Vorlage an das BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG nicht möglich, weil notwendige tatsächliche Feststellungen fehlten.
Das FG habe nicht geprüft, ob dem Kläger im Streitjahr eine vGA gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 i.V.m. §§ 8, 11 EStG zugeflossen sei. Darüber habe in dem jeweiligen Einkommensteuerveranlagungsverfahren der Anteilseigner selbstständig zu entscheiden.
Sollte das FG im zweiten Rechtsgang eine dem Kläger zugeflossene vGA feststellen, hätte es zu prüfen, ob ihm insoweit eine leichtfertige Steuerverkürzung gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO anzulasten ist, die zu einer – hier entscheidungserheblichen – Verlängerung der Festsetzungsfrist um ein Jahr führen würde.
Sollten die weiteren tatsächlichen Feststellungen des FG ergeben, dass die Voraussetzungen einer leichtfertigen Steuerverkürzung im Streitfall zu verneinen sind und im Übrigen eine vGA gegeben ist, werde das FG zu prüfen haben, ob eine verfassungsrechtlich unzulässige echte Rückwirkung des § 32a KStG auf bereits vor seinem Inkrafttreten festsetzungsverjährte Steueransprüche vorliege.
Hinweis
Diese Entscheidung klärt das Verhältnis von Körperschaftsteuerbescheid und Einkommensteuerbescheid im Falle einer vGA für eine bisher ...