Rz. 121
Für die Besteuerung des Anteilseigners einer wegziehenden SE oder SCE enthält Abs. 1 S. 1 letzter Hs. i. V. m. § 4 Abs. 1 S. 5 EStG und § 15 Abs. 1a EStG eine Sonderregelung. Diese Regelung ist nur anwendbar auf die Sitzverlegung der SE bzw. auf die Sitzverlegung der SCE in einen EU-Mitgliedstaat. Bei der Sitzverlegung von SE und SCE in einen Drittstaat greifen für die Besteuerung des Anteilsinhabers der SE bzw. SCE dagegen die allgemeinen Regeln des Abs. 1 ohne Milderung ein.
Rz. 121a
Die Verweisung auf § 15 Abs. 1a EStG ist eigentlich überflüssig, da diese Vorschrift über § 8 Abs. 1 KStG ohnehin für Körperschaften gilt. § 4 Abs. 1 S. 5 EStG gilt dagegen nicht unmittelbar für Körperschaften, da diese Vorschrift an die Entnahme des § 4 Abs. 1 S. 3 EStG anknüpft.
§ 4 Abs. 1 S. 5 EStG und § 15 Abs. 1a EStG beziehen sich nur auf Anteile im Betriebsvermögen. Erfasst werden damit alle Körperschaften als Gesellschafter der SE oder SCE, die nur Einkünfte aus Gewerbebetrieb haben können, die Betriebe gewerblicher Art sowie bei anderen Körperschaften diejenigen, die einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhalten und bei denen die Anteile zu diesem Geschäftsbetrieb gehören. Nicht erfasst werden dagegen Körperschaften, die Anteile an einer SE oder SCE außerhalb des Betriebsvermögens halten (z. B. Vereine und Stiftungen). Für diese Körperschaften gilt § 17 Abs. 5 S. 2 bis 4 EStG, der eine entsprechende Regelung enthält. Auf diese Vorschrift wird zwar in § 12 Abs. 1 KStG nicht verwiesen; das ist auch überflüssig, da § 17 EStG über § 8 Abs. 1 KStG ohnehin für nicht gewerblich tätige Körperschaften gilt.
Rz. 122
Bei dem Wegzug einer SE oder SCE in einen EU-Staat gilt für die Anteile an diesen Gesellschaften aufgrund der Verweisung in § 12 Abs. 1 KStG auf § 4 Abs. 1 S. 5 EStG die Entstrickungsbesteuerung nach § 12 Abs. 1 KStG nicht. Der Entstrickungstatbestand des § 12 KStG enthält also insoweit eine bereichsspezifische Ausnahme. An dessen Stelle treten die Regelungen des § 15 Abs. 1a EStG bzw. des § 17 Abs. 5 S. 2 bis 4 EStG. Danach darf eine Besteuerung grds. erst bei einer späteren Veräußerung der Anteile erfolgen, und zwar in der gleichen Weise, wie wenn eine Sitzverlegung der SE oder SCE nicht stattgefunden hätte. Diese Regelung geht auf Art. 12ff. FRL zurück.
Rz. 123
Nach den genannten Vorschriften, insb. § 15 Abs. 1a S. 1 EStG, nimmt die Bundesrepublik das Besteuerungsrecht unabhängig von den Regelungen des jeweils geltenden DBA in Anspruch, also im Wege des "treaty overrides". Besteuert wird nach dem Wortlaut der gesamte Veräußerungsgewinn, also nicht nur der Teil, der bis zum Zeitpunkt des Wegzugs der SE oder SCE entstanden ist. Damit würden auch Wertsteigerungen besteuert, die erst in einer Zeit entstanden sind, zu der das deutsche Besteuerungsrecht bereits ausgeschlossen war.
Rz. 124
Einer derart umfassenden Besteuerung steht Art. 14 FRL zwar nicht entgegen, sie ist aber sehr weitgehend, da dadurch der Teil des Veräußerungsgewinns, der auf Wertsteigerungen in der Zeit zwischen der Sitzverlegung und der Veräußerung beruht, regelmäßig doppelt besteuert werden wird. Nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 1a EStG bzw. § 17 Abs. 5 S. 3 EStG darf Deutschland auch die Wertsteigerung nach einer Sitzverlegung besteuern, obwohl sie außerhalb seiner Steuerhoheit entstanden ist. Der ausl. Staat wird auf die Besteuerung der Wertsteigerung nach der Sitzverlegung jedoch kaum verzichten wollen und muss dies nach dem Wortlaut des Art. 14 FRL auch nicht. Es wird ein Formulierungsfehler in der FRL angenommen werden müssen, der durch eine europarechtskonforme Reduktion des § 15 Abs. 1a EStG bzw. § 17 Abs. 5 EStG bereinigt werden sollte. Die Besteuerung nach diesen Vorschriften würde dann nur den Teil des Veräußerungsgewinns erfassen, der in der Zeit bis zur Sitzverlegung entstanden ist. Erforderlichenfalls ist – bei einer Besteuerung auch der Wertsteigerung nach Sitzverlegung – die Doppelbesteuerung durch ein Verständigungsverfahren bzw. ein Schiedsverfahren zu beseitigen.
Rz. 125 einstweilen frei
Rz. 126
§ 15 Abs. 1a S. 2 EStG enthält einige Ersatztatbestände für die Veräußerung. § 17 Abs. 5 S. 4 EStG verweist hierauf, sodass diese Ersatztatbestände auch im Rahmen des § 17 EStG gelten. Die Besteuerung im Inland erfolgt danach auch, wenn und soweit
- die Anteile an der SE und SCE später verdeckt in eine Kapitalgesellschaft eingelegt werden;
- die SE oder SCE aufgelöst wird;
- das Kapital der SE oder SCE herabgesetzt und an den Gesellschafter ausgekehrt wird;
- Beträge aus dem steuerlichen Einlagekonto ausgeschüttet oder zurückgezahlt werden.
Rz. 127
Art. 14 Abs. 1 FRL regelt, dass die Verlegung des Sitzes einer SE bzw. einer SCE "für sich allein" keine Besteuerung des Veräußerungsgewinns auslösen darf. Art. 14 Abs. 2 FRL bestimmt, dass Abs. 1 die Mitgliedstaaten nicht hindert, den Gewinn aus einer späteren Veräußerung der Anteile am Gesellschaftskapital der ihren Sitz verlegenden SE bzw. SCE zu besteuern. Hieraus ergibt sich,...