1 Systematik und Rechtsentwicklung

1.1 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

Die Vorschrift ist durch das SEStEG[1] mit Wirkung für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2005 enden, eingeführt worden[2] und normiert für Körperschaften einen Gewinnrealisations(ersatz)tatbestand. In dieser Gesetzesfassung wurde die Überführung von Wirtschaftsgütern (Abs. 1), die Verschmelzung nach ausl. Recht (Abs. 2) und die Sitzverlegung in einen Staat außerhalb des EU-/EWR-Raumes (Abs. 3) behandelt.

Die Vorschrift regelt die sog. Entstrickung. Vor der Einführung dieser Norm enthielt das Gesetz keinen allgemeinen Entstrickungstatbestand. Es gab lediglich einzelne Tatbestände, bei deren Vorliegen ein Gewinn auszuweisen und zu versteuern war, etwa die Gewinnrealisierung infolge eines Umsatzakts am Markt aufgrund des Realisationsprinzips, infolge einer Entnahme, einer verdeckten Einlage oder der Betriebsaufgabe. Die Entstrickung, d. h. regelmäßig die Verlagerung einzelner steuerverstrickter Wirtschaftsgüter in das Ausland, wodurch das deutsche unbeschränkte Besteuerungsrecht ausgeschlossen oder beschränkt wurde, war regelmäßig von keinem dieser Gewinnrealisierungstatbestände erfasst. Die §§ 7ff. AStG i. V. m. § 20 Abs. 2 AStG schützten das deutsche Besteuerungsrecht gegen eine solche Verlagerung nicht, wenn die Überführung in eine Betriebsstätte mit aktiver Tätigkeit erfolgte.[3] Für den Bereich der natürlichen Personen hatte der BFH zwar die "finale Entnahmelehre" vertreten[4], wonach eine gewinnrealisierende Entnahme immer dann vorliegt, wenn die stillen Reserven in dem Wirtschaftsgut der deutschen Besteuerung entzogen zu werden drohen. Indes ist das Institut der Entnahme, und damit der "finale Entnahmebegriff", auf Körperschaften nicht anwendbar. Für Körperschaften gab es daher keinen Gewinnrealisierungstatbestand bei Überführung von einzelnen Wirtschaftsgütern in das Ausland.

 

Rz. 2

Nach dem Gesetz i. d. F. des SEStEG[5] war § 4g EStG, welcher im Fall der Überführung von Wirtschaftsgütern in einen anderen EU-Staat einen beschränkten Aufschub der Versteuerung regelte, nicht auf Körperschaften anwendbar. Eine Anwendung über § 8 Abs. 1 KStG schied aus, da § 4g EStG sich ausdrücklich auf die Entnahme bezieht, bei Körperschaften aber keine Entnahme erfolgen kann. Dieser Fehler ist durch das JStG 2008[6] geheilt worden, indem in § 12 Abs. 1 S. 1 letzter Hs. eine Verweisung auf § 4g EStG mit Wirkung für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2005 enden, also ab Geltung der Norm, eingefügt wurde.

 

Rz. 3

Da in der Literatur (Rz. 24) Bedenken geäußert und diese anschließend von der Rspr.[7] geteilt wurden, ob § 12 KStG die Funktion als Entstrickungstatbestand bei Ausschluss oder Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts erfüllen kann, ist die Vorschrift insoweit durch Gesetz v. 8.12.2010[8] durch Einfügung eines neuen Satz 2 in Abs. 1 ergänzt worden, der die entstandenen Zweifel beseitigen soll. Die Neuregelung soll nach § 34 Abs. 8 S. 2 KStG für alle Fälle gelten, für die § 12 Abs. 1 KStG gilt. Sie soll also auch Rückwirkung entfalten, und zwar für die Zeit vor dem 1.1.2010, aber auch für die Zeit vor dem 1.1.2006.

 

Rz. 4

Durch das Brexit-Steuerbegleitgesetz vom 25.3.2019[9] wurden Abs. 3 S. 4 und Abs. 4 eingefügt. Durch Abs. 3 S. 4 wurde sichergestellt, dass eine Körperschaft weiterhin für Zwecke des § 12 Abs. 3 KStG als der unbeschränkten Steuerpflicht in einem Mitgliedstaat der EU unterfallend oder als innerhalb des Hoheitsgebietes eines Mitgliedstaats der EU ansässig anzusehen ist.[10] Abs. 4 bewirkte, dass es für britische Kapitalgesellschaften mit inländischer Geschäftsleitung nicht zu einer Aufdeckung der stillen Reserven kommt.[11]

 

Rz. 5

Durch das Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATADUmsG)[12] wurde Abs. 1 um einen S. 3 und um den Abs. 1a ergänzt.

Der neue Abs. 1 S. 3 entspricht wirtschaftlich dem durch das ATADUmsG neu eingefügten § 4 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 und S. 9 EStG und regelt den Fall des Wegfalls einer Beschränkung des Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts (z. B. im Fall der Überführung eines Wirtschaftsguts aus einer Anrechnungsbetriebsstätte in das inländische Stammhaus). Das Wirtschaftsgut gilt in diesem Fall als zu dem Wert veräußert und wieder angeschafft, den der andere Staat im Rahmen einer Entstrickungsbesteuerung zugrunde gelegt hat, höchstens dem gemeinen Wert.

[13] § 12 Abs. 1a KStG soll Art. 5 Abs. 5 ATAD-Richtinie[14] umsetzen. Art. 5 Abs. 5 ATAD differenziert nicht zwischen Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens und Wirtschaftsgütern der außerbetrieblichen Sphäre einer Körperschaft. Wirtschaftsgüter der außerbetrieblichen Sphäre sind nicht von § 4 Abs. 1 S. 3 zweiter Hs. und S. 8 zweiter Hs. EStG, S. 9 und 10 EStG über den allgemeinen Verweis in § 8 Abs. 1 KStG erfasst, da diese grundsätzlich nur auf Gewinneinkünfte Anwendung finden. Durch § 12 Abs. 1a KStG wird § 4 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 und S. 8 Hs. 2, S. 9 und 10 EStG für entsprechend anwendbar erklärt.

Die durch das ATADUmsG eingefügten Vorschriften sind nach § 34 ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Steuer Office Excellence enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge