Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 181
Thesaurierte Gewinne in der Steuerbilanz einer Kapitalgesellschaft finden in der Gliederungsrechnung ihren Niederschlag in den Teilbeträgen des verwendbaren Eigenkapitals. Werden die Gewinne an die Anteilseigner ausgekehrt, löst dies die Wirkung des Anrechnungsverfahrens aus: Die auskehrende Kapitalgesellschaft hat die Ausschüttungsbelastung herzustellen, der Anteilseigner hat Einnahmen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1—3 EStG, die unabhängig vom Umfang der Beteiligung der Einkommensteuer zum normalen Steuersatz bzw. der Körperschaftsteuer unterliegen. Der Grund für die Auskehrung ist gleichgültig. Es kann sich um eine Ausschüttung aufgrund eines Gewinnverwendungsbeschlusses, um eine verdeckte Gewinnausschüttung oder um eine sonstige Leistung nach § 41 handeln.
Rz. 182
Thesaurierte Gewinne erhöhen das Vermögen der Kapitalgesellschaft und damit den Substanzwert der Anteile an der Kapitalgesellschaft. Ein Anteilseigner, der an einem weiteren Festhalten an der Beteiligung nicht mehr interessiert ist, kann sich den Gegenwert der thesaurierten Gewinne statt durch Ausschüttung auch durch Veräußerung seiner Anteile verschaffen. Infolge der thesaurierten Gewinne erzielt er einen höheren Veräußerungserlös. Kann nämlich der Erwerber der Anteile die hinter dem verwendbaren Eigenkapital stehenden Körperschaftsteuerguthaben für sich nutzbar machen, wird er bei der Bemessung des Kaufpreises neben den offenen Rücklagen auch dieses Körperschaftsteuerguthaben berücksichtigen. Das Mehr an Veräußerungsgewinn infolge des Vorhandenseins besteuerter Rücklagen entspricht im Idealfall der Bruttoausschüttung, die möglich wäre, wenn der Veräußerer der Anteile eine entsprechende Ausschüttung an sich herbeiführen würde.
Die Gewinnausschüttung wird also im Ergebnis in einen Veräußerungsgewinn umgewandelt. Während die Gewinnausschüttung oder die sonstige Leistung als normale Einkünfte zum normalen Steuersatz zu versteuern sind, ergeben sich für die Besteuerung des Veräußerungsgewinns unterschiedliche Auswirkungen:
- Handelt es sich um eine im Privatbesitz gehaltene nicht wesentliche Beteiligung, die nach der Spekulationsfrist des § 23 EStG veräußert wird, ist der Veräußerungsgewinn nicht steuerbar.
- Handelt es sich um eine im Privatvermögen gehaltene wesentliche Beteiligung im Sinne des § 17, die nach Ablauf der Spekulationsfrist veräußert wird, gehört der Veräußerungsgewinn zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb im Sinne des § 17 EStG; für diesen Veräußerungsgewinn gilt der Freibetrag nach § 17 Abs. 3 EStG, der verbleibende Gewinn wird nach § 34 Abs. 1 EStG versteuert. Entsprechendes gilt für einbringungs-, verschmelzungs- und spaltungsgeborene Anteile (vgl. § 13 UmwStG Rz. 14; § 15 UmwStG Rz. 75; § 21 UmwStG Rz. 29 ff).
- Handelt es sich um eine im Betriebsvermögen einer natürlichen Person gehaltene, das gesamte Nennkapital umfassende Beteiligung, die insgesamt veräußert wird, gehört der Veräußerungsgewinn zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb im Sinne des § 16 Abs. 1; diese Einkünfte werden ebenfalls nach § 34 Abs. 1 EStG versteuert. Entsprechendes gilt für Veräußerungen durch Personengesellschaften, soweit diese auf natürliche Personen entfallen.
- In allen anderen Fällen, in denen eine Beteiligung im Betriebsvermögen gehalten wird, ist der Veräußerungsgewinn normal zu versteuern.
Rz. 183
Hat der Erwerber von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft bei Erwerb der Anteile vorhandene thesaurierte Gewinne einschließlich des dahinter stehenden Körperschaftsteuerguthabens erworben und beschließt er, Gewinne an sich auszuschütten, bezieht er Einnahmen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 3 EStG, die der Einkommensteuer (Körperschaftsteuer) zu unterwerfen sind, und zwar zum normalen Steuersatz. Bedingt durch die Ausschüttung sinkt aber der Wert der erworbenen Anteile, weil der Teil des Kaufpreises, der für thesaurierte Gewinne und Steuerguthaben aufgewendet worden ist, nach der Ausschüttung nicht mehr durch einen entsprechenden Mehrwert der Anteile gedeckt ist. Es tritt eine ausschüttungsbedingte Wertminderung der Anteile ein.
Gehören die Anteile zum Betriebsvermögen eines inländischen Gewerbebetriebs, führt die ausschüttungsbedingte Wertminderung der Anteile zu einer ausschüttungsbedingten Teilwertabschreibung. Dem Ertrag aus dem Zufluss von Bardividende und Steuergutschrift steht ein gleichhoher Aufwand in Form einer ausschüttungsbedingten Teilwertabschreibung gegenüber. Der Erwerber erzielt aus der Ausschüttung im Ergebnis kein positives Einkommen; seine Einkommen- bzw. Körperschaftsteuerschuld erhöht sich nicht. Gleichwohl kann er die mit der Ausschüttung vermittelte Steuergutschrift auf seine Einkommensteuer anrechnen. Im Ergebnis sind sowohl der Veräußerungsgewinn beim Veräußerer als auch die Ausschüttung beim Erwerber steuerfrei geblieben.
Rz. 184
Gehören die Anteile beim Erwerber zu einer im Privatvermögen gehaltenen Beteiligung im Sinne des § 17 EStG, ist eine ausschüttungsbedingte Teilwertabschreibung nicht möglich. Gleichwohl steht der du...