Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 57
Die Regelung der Liquidationsbesteuerung bietet verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten. Eine dieser Möglichkeiten besteht darin, das durch Abschn. 46 Abs. 1 Nr. 5 KStR gewährte Wahlrecht zur Bildung eines Rumpfwirtschaftsjahres vor dem Abwicklungszeitraum auszunutzen. Handelsrechtlich ist auf den Tag der Auflösung für den abgelaufenen Zeitraum eine letzte Schlussbilanz aufzustellen. Fällt die Auflösung in den Lauf eines Wirtschaftsjahres, entsteht handelsrechtlich somit ein Rumpfwirtschaftsjahr vom Ende des letzten vollen Wirtschaftsjahres bis zum Tag der Auflösung; steuerrechtlich hat der Steuerpflichtige ein Wahlrecht, ob er dieses Rumpfwirtschaftsjahr bildet oder ob der (dreijährige) Besteuerungszeitraum nach § 11 Abs. 1 unmittelbar mit Ende des letzten vollen Wirtschaftsjahres beginnen soll (vgl. § 11 Rz. 20 ff.). Wird ein Rumpfwirtschaftsjahr gebildet, dann gelten dafür die allgemeinen steuerrechtlichen Vorschriften. Das Rumpfwirtschaftsjahr ist steuerlich nicht in den Liquidationszeitraum einzubeziehen. Zum Schluss des Rumpfwirtschaftsjahres ist eine Schlussbilanz aufzustellen, der Gewinn nach den gewöhnlichen Grundsätzen zu ermitteln und das verwendbare Eigenkapital zu gliedern. Der Gewinn dieses Rumpfwirtschaftsjahres kann noch während des Liquidationsverfahrens ausgeschüttet werden; der während des Liquidationsverfahrens gefasste Gewinnverwendungsbeschluss ist ein den handelsrechtlichen Grundsätzen entsprechender Gewinnverwendungsbeschluss.
Die Ausschüttung ist daher gegen das zum Ende des Rumpfwirtschaftsjahres festgestellte verwendbare Eigenkapital zu verrechnen. Dies bietet die Möglichkeit, einzelne Wirtschaftsgüter mit hohen stillen Reserven bereits in diesem Rumpfwirtschaftsjahr zu veräußern, um damit den durch die Aufdeckung der stillen Reserven entstehenden Gewinn aus dem Liquidationszeitraum in das Rumpfwirtschaftsjahr zu verlagern und dann offen auszuschütten.
Eine weitere Möglichkeit, das sich im Laufe der Liquidation bei der Gesellschaft ansammelnde flüssige Vermögen für die Gesellschafter nutzbar zu machen, ohne auf die Schlussverteilung warten zu müssen, besteht neben der Vorabauskehrung in der Darlehensgewährung von der Gesellschaft an die Gesellschafter. Diese Darlehen können dann aus den Mitteln der Schlussverteilung zurückgezahlt bzw. die Darlehensschuld mit dem Anspruch aus der Schlussverteilung verrechnet werden.
Rz. 58
Droht die Gefahr, dass durch Umgliederung von negativem EK 0 Anrechnungsguthaben verloren geht, kann dieses Definitivwerden der Tarifbelastung durch Anwendung des "Leg-ein-hol-zurück"-Verfahrens vermieden werden. Dieses Verfahren stellt keinen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts nach § 42 AO dar. Das Definitivwerden von Tarifbelastung ist systemwidrig; nach dem Zweck des körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahrens soll alle Körperschaftsteuer, soweit sie nicht die nichtabzugsfähigen Ausgaben belastet, anrechenbar sein. Das "Leg-ein-hol-zurück"-Verfahren führt dazu, dass ein Definitivwerden von Körperschaftsteuer verhindert wird, umgeht also den Zweck des Steuergesetzes gerade nicht, sondern dient diesem Zweck. Es ist daher zulässig.
Die Wirkungen dieses Verfahrens beruhen darauf, dass Körperschaftsteuer auf den belasteten Eigenkapitalteilen dann definitiv wird, wenn bei der Gliederungsrechnung auf den Schluss des Liquidationszeitraums das negative EK 0 nicht durch Verrechnung mit dem Nennkapital ausgeglichen werden kann. Da Einlagen der Anteilsinhaber das EK 04 auffüllen, können vor Aufstellen der letzten Gliederungsrechnung Einlagen in der Höhe vorgenommen werden, dass das dadurch entstehende EK 04 ausreicht, die negativen Teilbeträge des EK 0 so auszugleichen, dass das Nennkapital zum vollständigen Auffüllen der Negativbeträge ausreicht. Für die Schlussverteilung steht dann das gesamte belastete Eigenkapital, und damit auch die Körperschaftsteuer als anrechenbare Steuer, zur Verfügung.
Beispiel (wie in Rz. 53 Beispiel 2):
Es wird zusätzlich eine Einlage von 10.000 DM vorgenommen.
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EK 40 |
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EK 02 |
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EK 04 |
Anfangsbestand |
70.000 |
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./. 60.000 |
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0 |
Einlage |
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+ 10.000 |
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70.000 |
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./. 60.000 |
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+ 10.000 |
Umgliederung EK 04 |
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+ 10.000 |
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./. 10.000 |
Abrechnung Stammkapital |
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+ 50.000 |
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70.000 |
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0 |
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0 |
KSt-Minderung |
11.667 |
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Schlussrate |
81.667 |
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Die Schlussrate ist gegenüber der in Beispiel 2 (Rz. 53) um 11.667 DM höher. Dieser Betrag setzt sich wie folgt zusammen:
Mehr EK 40 |
10.000 |
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Mehr KSt-Minderung |
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(10/60 von 10.000) |
1.667 |
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11.667 |
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Rz. 59
In die Betrachtung einzubeziehen sind jedoch auch die Auswirkungen auf die Ebene der Anteilseigner. Hier ist wiederum zu differenzieren, ob § 17 EStG anwendbar ist bzw. ob die Anteile im Betriebsvermögen gehalten werden oder nicht (vgl. Rz. 55).