Carsten Schmitt, Andrea Debus
Rz. 36
Das negative Tatbestandsmerkmal, dass ein Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern (leibliche Eltern, Adoptiveltern und andere Pflegeeltern) nicht mehr besteht, bezweckt, die doppelte Zurechnung sowohl bei den Eltern als auch bei den Pflegeeltern nach Möglichkeit zu vermeiden.
Rz. 37
Nach dem Grundsatzurteil des BFH erfordert die Annahme eines Pflegekindverhältnisses, dass das Kind mit Wissen und Wollen der leiblichen Eltern aus deren Obhut und Fürsorge ausscheidet. Demgemäß besteht nur dann, wenn die natürlichen Beziehungen zwischen den leiblichen Eltern und dem Kind gelöst sind, Raum für ein Pflegekindverhältnis. Nach der Rspr. müssen sonach zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Das Kind muss aus dem natürlich oder (bei Adoptivkindern) rechtlich begründeten Obhutsverhältnis zu seinen leiblichen oder rechtlichen Eltern ausscheiden und zusätzlich zu den Pflegeeltern in ein besonders enges, dem Eltern-Kind-Verhältnis nachgebildetes Band treten. Für die Annahme eines Pflegekindschaftsverhältnisses ist demnach nur Raum, wenn sich die leiblichen Eltern um das Kind "nicht mehr kümmern", d. h., im Wesentlichen jeglicher Kontakt aufgehört hat.
Bei Adoptiv- und Enkelkindern besteht das negative Tatbestandsmerkmal dagegen nicht.
Rz. 38
Entscheidend ist, ob die Obhut und Pflege durch die leiblichen Eltern so weit zurücktritt, dass sie im Wesentlichen nur noch durch die Pflegeeltern in der Weise ausgeübt wird, dass diese gleichsam zu Ersatzeltern werden. Dies lässt sich nur im Einzelfall beurteilen. Kriterien hierfür sind im Wesentlichen das Alter des Kindes sowie die Anzahl und Dauer der Besuche der leiblichen Eltern bzw. bei diesen. Je jünger das Kind ist, desto wichtiger ist noch die persönliche Anwesenheit der leiblichen Eltern. Gelegentliche Kontakte zu den leiblichen Eltern sind daher nicht ausgeschlossen, wobei umso geringere Kontakte ausreichen, je älter das Kind ist. Der Abbruch des Obhuts- und Pflegeverhältnisses hängt somit auch von einem zeitlichen Merkmal ab. Bei noch nicht schulpflichtigen Kindern, die noch viel Zuwendung und Pflege brauchen, ist von einem Zeitraum von mindestens einem Jahr auszugehen, in der das Kind keinen Kontakt zu den leiblichen Eltern hat. Erst dann kann das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern als beendet angesehen werden. Bei noch schulpflichtigen Kindern kann der Zeitraum 2 Jahre betragen. Bei älteren Kindern muss der Zeitraum wesentlich länger sein oder sogar ein endgültiger Abbruch der Kontakte vorliegen. Allerdings ist zu beachten, dass lediglich sporadische (z. B. telefonische) Kontakte ohne Elemente der Obhut und Pflege das geforderte Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern nicht weiterbestehen lassen. Bei einem finanziell unabhängigen fast Volljährigen führt die vorübergehende Trennung von den Eltern allein noch nicht zur Auflösung des Obhuts- und Pflegeverhältnisses. Gelegentliche Treffen entsprechen vielmehr gerade den Kontakten, die heranwachsende Auszubildende zu ihren Eltern haben.
Bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen kann das fehlende Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern unterstellt werden.
Rz. 39
Praktisch bedeutsam sind die Fälle eingetragener Lebenspartnerschaften oder nichtehelicher Lebensgemeinschaften, in denen ein Elternteil mit Kind mit einer Person (Lebenspartner, Lebensgefährte) zusammenlebt, die mit dem Kind nicht verwandt ist. Auch in diesen Fällen bleibt das Kind noch in den Haushalt seines Elternteils (der zugleich Haushalt des Lebenspartners oder Lebensgefährten des Elternteils ist) eingeordnet und ein neues Eltern-Kind-Verhältnis als Pflegekind zu dem Lebensgefährten kann daher mangels Lösung des bisherigen Eltern-Kind-Verhältnisses nicht begründet werden. Entsprechendes gilt, wenn ein Elternteil mit dem Kind im Haushalt der Großeltern lebt und diese das Kind pflegen und unterhalten.
Dies führt dazu, dass z. B. der nicht selbst Einkommen erzielende Elternteil von dem Kinderfreibetrag keinen Vorteil hat, während der Lebensgefährte, der praktisch die Aufwendungen des Unterhalts ganz oder teilweise trägt, keine steuerliche Entlastung erfährt.