Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 227a
§ 50d Abs. 9 S. 4 EStG enthält eine Norm zur Auslegung von Klauseln, die den Tatbeständen des Abs. 9 Nr. und Nr. 2 entsprechen, aber in einem DBA enthalten sind. Die Vorschrift wurde durch G. v. 20.12.2016 mit Wirkung ab Vz 2017 angefügt. Die Vorschrift ist, anders als Abs. 9 Nr. 1, nicht auf Switch-over-Klauseln und damit die Regelung von Qualifikationskonflikten beschränkt, sondern erfasst alle Fälle, in denen Einkünfte nach der jeweiligen Regelung des DBA in Deutschland nicht der Freistellung unterliegen sollen. Bei diesen DBA-Klauseln kann es sich um Switch-over-Klauseln handeln, die einen Qualifikationskonflikt regeln sollen, aber auch um Klauseln, die die Wirkung einer Subject-to-tax-Klausel haben, oder Quellenklauseln. Dabei kann die Beschränkung der Freistellung auf im anderen Staat tatsächlich besteuerte Einkünfte bereits in dem Methodenartikel enthalten sein oder sich erst aus dem Protokoll ergeben.
Das Protokoll ist integraler Teil des DBA; eine im Protokoll enthaltene Switch-over- oder Subject-to-tax-Klausel hat daher die gleiche Wirkung wie eine in dem DBA selbst enthaltene Klausel. Diese Klauseln sind wirksam, auch wenn sie bestimmte Tätigkeiten oder Berufsgruppen (wie Flugzeugpersonal) durch Anwendung der Anrechnungsmethode an Stelle der Freistellungsmethode steuerlich höher belasten. Das gilt auch, wenn in anderen DBA solche Klauseln nicht enthalten sind; der Stpfl. hat gegenüber dem für ihn anwendbaren DBA kein Recht auf Anwendung einer "Meistbegünstigung". Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz liegt hierin nicht.
Keine Anwendung findet § 50d Abs. 9 S. 4 EStG jedoch bei DBA, die bereits in ihrem Wortlaut den Übergang zur Anrechnungsmethode für "Einkunftsteile" vorsehen. Die Bestimmung des DBA hat dann Vorrang vor der gleichbedeutenden Regelung des S. 4.
Rz. 227b
Tatbestand des § 50d Abs. 9 S. 4 EStG ist lediglich, dass das DBA in seinem Text oder in dem Protokoll eine Bestimmung enthält, dass die Einkünfte aufgrund einer bestimmten Behandlung im Quellenstaat in Deutschland nicht freigestellt werden sollen, sondern statt dessen die Anrechnungsmethode anzuwenden ist. Die "bestimmte Behandlung" im Quellenstaat ist i. d. R. die Nichtbesteuerung der Einkünfte im Quellenstaat oder ihre Besteuerung im Quellenstaat nur mit einer höhenmäßig begrenzten Quellensteuer. Da § 50d Abs. 9 S. 4 EStG nur anwendbar ist, wenn eine "bestimmte Behandlung" im Quellenstaat vorliegt, ist S. 4 nicht auf Aktivitätsklauseln anwendbar. Die Anwendung der Anrechnungsmethode anstelle der Freistellung beruht in diesen Fällen nicht auf der "bestimmten Behandlung" dieser Einkünfte in dem Quellenstaat, sondern auf der Qualifikation der Einkünfte als "passiv".
Dagegen ist die Vorschrift auf sog. Quellenregeln anwendbar. Diese Regeln bestimmen, allgemein ausgedrückt, dass Einkünfte nur dann aus dem anderen Staat stammen, wenn sie in diesem Staat effektiv besteuert werden. Daraus folgt, dass sie nicht freizustellen sind, wenn eine solche Besteuerung nicht erfolgt ist. Damit hängt der Übergang von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode von der "bestimmten Behandlung", d. h. der Besteuerung im Quellenstaat ab.
Rz. 227c
Als Rechtsfolge bestimmt die Vorschrift, dass die in dem DBA enthaltene Regelung, nämlich Ersetzung der Freistellungs- durch die Anrechnungsmethode, nicht nur auf einheitliche Einkünfte, sondern auch auf Teile von Einkünften anzuwenden ist. Das bedeutet, dass immer dann, wenn der ausl. Staat einzelne Komponenten von Einkünften nicht oder nur mit einem höhenmäßig begrenzten Quellensteuersatz besteuert, für diese Teile von Einkünften im Inland keine Freistellung, sondern die Anrechnung erfolgt. Es ist also nicht auf die Besteuerung oder Nichtbesteuerung der Einkunft als Ganzes abzustellen, sondern auf jeden einzelnen Einkunftsteil. Naturgemäß gilt das nur, wenn der Tatbestand der entsprechenden Klausel im DBA für den einzelnen Einkunftsteil erfüllt ist. In erster Linie ist daher zu prüfen, ob die DBA-Klausel für den in Frage stehenden Fall den Ausschluss der Freistellungsmethode vorsieht. Folge ist dann, dass diese Rechtsfolge, begrenzt auf den fraglichen, nicht oder nur gering besteuerten Einkunftsteil, anzuwenden ist.
Rz. 227d
Die Vorschrift enthält ein nicht ausdrücklich ausgesprochenes, daher verdecktes Treaty Override. Die entsprechenden Klauseln sind nach der Rspr.des BFH i. d. R. so auszulegen, dass sie sich auf die Besteuerung oder Nichtbesteuerung der Einkünfte insgesamt beziehen (Rz. 173e ff.). Von dieser, für Stpfl. und Finanzverwaltung bindenden Interpretation des Inhalts des DBA weicht § 50d Abs. 9 S. 4 EStG insoweit ab, als nunmehr auf den einzelnen Einkunftsteil abzustellen ist. Das Verständnis und damit der Inhalt der entsprechenden DBA-Klauseln wird dadurch verändert. Im Ergebnis verändert die Regelung den in der DBA-Klausel verwendeten Begriff "wenn" (oder entsprechendes Verständnis) unilateral in ein "soweit". Dies stellt ein verdecktes Treaty Override dar. Die Vors...