Leitsatz
Ein Arbeitnehmer mit Wohnsitz im Inland und Arbeitsort in der Schweiz, der an mehr als 60 Arbeitstagen nicht an seinen Wohnsitz zurückkehrt, unterliegt dennoch als Grenzgänger gem. Art. 15a DBA Schweiz der deutschen Besteuerung, wenn die Nichtrückkehr auf die Wahrnehmung eines gelegentlichen Nachtbereitschaftsdienstes zurückzuführen ist.
Normenkette
Art. 15a DBA-Schweiz
Sachverhalt
Die Klägerin war Chefin des Services eines Schweizer Hotels im deutsch-schweizerischen Grenzbereich. Sie wohnte aber in Deutschland. Damit war sie an sich Grenzgängerin. Sie war jedoch an 71 Tagen nicht an ihren Wohnort zurückgekehrt, weil sie im Hotel Nachtbereitschaftsdienste zu übernehmen hatte. Deswegen, so meinte sie, sei sie keine Grenzgängerin i.S.d. Art. 15a DBA Schweiz.
Entscheidung
Der BFH (der in dieser Sache auf Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin die Revision selbst zugelassen hatte) vertrat eine andere Meinung: Der Nachtbereitschaftsdienst löse die Rechtsfolge des Verhandlungsprotokolls zum Änderungsprotokoll vom 18.12.1991 (BStBl I 1993, 929) aus. In dessen Abschn. II zu Art. 15a Abs. 2 DBA Schweiz sei bestimmt, dass die für die Grenzgängereigenschaft wichtige regelmäßige Rückkehr an den Wohnsitz nicht dadurch ausgeschlossen werde, dass sich die Arbeitsausübung bedingt durch betriebliche Umstände, wie z. B. Schichtarbeit oder Bereitschaftsdienst, über mehrere Tage erstrecke. So verhalte es sich aber auch bei der Klägerin. Dass diese kein "typischer" Nachtarbeiter sei, stehe dem nicht entgegen.
Hinweis
Es gibt immer wieder viele Streitigkeiten um die Frage, wann ein Steuerpflichtiger im abkommensrechtlichen Sinn – im Verhältnis zu den deutschen Nachbarländern – ein sog. Grenzgänger ist und wann er diese Eigenschaft womöglich wieder verliert, so auch im Urteilsfall. Hier ging es um die Schweiz: Grenzgänger werden nach Art. 15a DBA Schweiz auch dann im Ansässigkeitsstaat besteuert, wenn sie im anderen Vertragsstaat arbeiten. Es sind dies solche Personen, die von ihrem Arbeitsort regelmäßig an ihren Wohnort zurückkehren. Tun sie dies an mehr als 60 Arbeitstagen aus Gründen, die in ihrer Arbeitsausübung liegen, nicht, dann verlieren sie ihren Status.
Wann die 60 Tage erreicht und überschritten sind, errechnet sich letztlich rein kalendarisch. Allerdings gibt es Abweichungen: Personen, die bedingt durch die betrieblichen Umstände nicht heimkehren können, z. B. weil sie im Schichtdienst arbeiten oder weil sie Bereitschaftsdienst haben, werden "fiktiv" als Rückkehrer behandelt. Das bestimmt das Verhandlungsprotokoll zum DBA Schweiz.
Dazu hat der BFH nun geklärt: Es kann nicht darauf ankommen, ob die "übernächtliche" oder mehrtägige Abwesenheit in Umständen begründet ist, die arbeitsvertraglich vereinbart sind. Auch eine Person, die nur infolge kurzfristiger betrieblicher Umstände über Nacht "einspringt" oder Bereitschaftsdienste wahrnimmt, ohne dass sie dies vertraglich zwingend müsse, sei entsprechend zu behandeln.
Nicht von der Sonderregelung in dem Protokoll betroffen sind also nur Arbeitnehmer, die zwar aus betrieblichen Gründen über Nacht im Tätigkeitsstaat bleiben, dies jedoch nach "getaner Arbeit", sozusagen nach Dienstschluss, tun, z. B. weil sie eine beruflich bedingte Reise wahrnehmen müssen, oder weil es bei einer mehrtägigen Veranstaltung ausgeschlossen oder jedenfalls unzumutbar ist, heimzukehren. Wird die eigentlich zu erbringende Arbeit hingegen aus betrieblichen Gründen über Mitternacht hinaus fortgesetzt, dann sind die betreffenden Arbeitnehmer "fiktive" Rückkehrer.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 16.5.2001, I R 100/00