Grenzgänger in die Schweiz bei 24-Stunden-Diensten
(Bestätigung des BFH-Urteils v. 13.11.2013, I R 23/12, BFHE 244 S. 270, BStBl II 2014 S. 508)
Hintergrund: Fortlaufende 24-Stunden-Dienste in der Schweiz
Streitig war der Status als Grenzgänger i.S.des Art. 15a DBA-Schweiz 1971/2010.
Der Arzt A wohnte im Streitjahr 2014 in Deutschland. Neben seiner inländischen Tätigkeit war er 3-mal (für 4, 8 bzw. 22 Tage) als Vertreter eines Facharztes in einer Klinik in der Schweiz tätig.
Das FA sah A als Grenzgänger an und unterwarf die Einkünfte aus der nichtselbstständigen schweizerischen Vertretertätigkeit nach der Grenzgängerregelung (Art. 15a DBA-Schweiz) der deutschen ESt.
Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt und wandte lediglich den Progressionsvorbehalt an. Der Status eines Grenzgängers scheide aus, da eine regelmäßige Rückkehr zum Wohnort wegen der großen Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort (207 km, Fahrzeit 3 bis 4 Stunden) unzumutbar sei. Deshalb komme es nicht darauf an, ob die vereinbarten 24-Stunden-Dienste zu einem Ausschluss schädlicher Nichtrückkehrtage i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz geführt hätten.
Entscheidung: Grenzgänger bei 24-Stunden-Diensten
Der BFH hob das FG-Urteil auf und wies die Klage ab. Die in der Schweiz erzielten Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit sind nicht von der inländischen Besteuerung freigestellt. A war Grenzgänger i.S. des Art. 15a DBA-Schweiz.
Keine örtlichen Voraussetzungen für den Grenzgängerbegriff
Das FG hat fälschlich angenommen, die Voraussetzungen des Grenzgängerbegriffs seien schon wegen der großen Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort bzw. der Unzumutbarkeit einer Rückkehr nicht erfüllt. Denn der Grenzgängerbegriff ist in Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz unabhängig von örtlichen Voraussetzungen oder Grenzzonen definiert. Der Wortlaut des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz erfordert die regelmäßige Rückkehr der Person an den Wohnort. Weiterhin wird bestimmt, unter welchen Voraussetzungen (für den Grenzgängerbegriff schädliche) sog. Nichtrückkehrtage vorliegen. Für eine örtliche Einschränkung als zusätzliches Tatbestandsmerkmal bestehen keine Anhaltspunkte. Die Frage, ob und inwieweit eine Rückkehr aufgrund der großen Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort zumutbar ist, können somit erst dann eine Rolle spielen, wenn es darum geht, ob eine (schädliche) Nichtrückkehr aufgrund der Arbeitsausübung i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz vorliegt.
Einheitliche Betrachtung der 24-Stunden-Dienste
Wechseln sich bei Krankenhauspersonal (wie im Streitfall) der reguläre Dienst und Rufbereitschaft lückenlos jeweils ab, liegt auch bei einer solchen mehrtägigen Tätigkeit ein ununterbrochener Arbeitseinsatz vor (BFH v. 13.11.2013, I R 23/12, BStBl II 2014 S. 508). Das führt dazu, dass der jeweilige mehrtägige Arbeitseinsatz als Einheit zu behandeln ist. Daraus folgt, dass es für die Zahl der (schädlichen) Nichtrückkehrtage allein auf die Rückkehr oder Nichtrückkehr am Ende des mehrtägigen Arbeitseinsatzes ankommt. Nach dem Anstellungsvertrag des A und einer Bescheinigung der Klinik ist davon auszugehen, dass A während seiner mehrtägigen Arbeitseinsätze in der Schweiz jeweils lückenlos 24-Stunden-Bereitschaftsdienste geleistet hat. Das führt dazu, dass sogar der sich über insgesamt 22 Tage erstreckende Einsatz des A als Einheit zu betrachten ist.
Regelmäßige Rückkehr an den Wohnsitz
A ist jeweils am Ende seiner mehrtägigen Arbeitseinsätze (und damit "jeweils nach Arbeitsende" i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz) an seinen Wohnort zurückgekehrt. Dies führt dazu, dass im Streitfall bereits die Eingangsvoraussetzungen des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 DBA-Schweiz (Nichtrückkehr) nicht erfüllt sind. Somit liegt kein einziger Nichtrückkehrtag vor, der Anlass für eine weitere Prüfung geben könnte, ob die zulässige Anzahl (schädlicher) Nichtrückkehrtage überschritten wird und dadurch der Status als Grenzgänger entfällt.
Grenzgängereigenschaft auch bei nur wenigen Grenzüberquerungen
Dass A nur in einem Jahr (Streitjahr) und nur an insgesamt 31 Tagen in der Schweiz gearbeitet hat, ist unerheblich. Diese Einschränkung lässt sich dem Grenzgängerbegriff des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/2010 nicht entnehmen. Der Grenzgängerbegriff setzt keine Mindestzahl an Grenzüberquerungen pro Woche oder Monat voraus. Dem steht § 7 der Deutsch-Schweizerischen Konsultationsverordnung v. 20.12.2020 (KonsVerCHE, BGBl I 2020 S. 2187) nicht entgegen. Danach scheidet bei geringfügigen Arbeitsverhältnissen eine regelmäßige Rückkehr i.S. des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz aus, wenn sich der Arbeitnehmer nicht mindestens an einem Tag pro Woche oder fünf Tagen pro Monat von seinem Wohnsitz an seinen Arbeitsort und zurückbegibt. Diese Regelung verstößt gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes (des DBA Schweiz) und wurde daher vom BFH verworfen.
Hinweis: Anrechnung der Schweizer Steuer
Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ist die nach Art. 15a Abs. 1 Satz 3 DBA-Schweiz in der Schweiz erhobene Quellensteuer in Höhe von 4,5 % auf die inländische ESt anzurechnen (Art. 15a Abs. 3 Buchst. a DBA-Schweiz i.V.m. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG).
Arbeitsvertrag als Grundlage
Ob ein mehrtägiger ununterbrochener Arbeitseinsatz vorliegt, richtet sich nach den arbeitsvertraglichen Regelungen und nicht nach der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit einer durchgängigen Rufbereitschaft oder der Möglichkeit einer Übernachtung außerhalb des Krankenhausgeländes während der Rufbereitschaften. Dies lässt sich insbesondere aus Nr. II.2. des Verhandlungsprotokolls herleiten. Danach sind Arbeitstage die im Arbeitsvertrag vereinbarten Tage. Im Streitfall lag offenbar ein Arbeitsvertrag vor, der von einer durchgängigen 24-stündigen Arbeitszeit (einschließlich Rufbereitschaft) ausging.
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