a) Vorüberlegungen
Die Ansicht des BFH hinsichtlich der Auslegung des groben Verschuldens steht u.E. dem Besteuerungsgrundsatz der gleichmäßigen Steuerfestsetzung und -erhebung nach § 85 AO entgegen. Nach diesem Grundsatz sind alle Steuerpflichtigen, die den Tatbestand der Besteuerung erfüllen, gleichmäßig zu behandeln. Daher dürfen einzelne Steuerpflichtige gegenüber anderen Steuerpflichtigen weder bevorzugt noch benachteiligt werden (Hahlweg in Koenig AO, 4. Aufl., § 85 AO Rz. 8).
Ausgangspunkt für die Auslegung von Steuergesetzen ist regelmäßig ihr Wortlaut und Sinn (BFH v. 31.7.1970 – III R 25/70, BStBl. II 1971, 46; v. 17.6.2010 – VI R 50/09, BStBl. II 2011, 43; so auch Gersch in Klein, AO, 15. Aufl., § 4 Rz. 27). Daher ist auch der Begriff des groben Verschuldens einer wortlaut- und sinngetreuen Auslegung zu unterziehen. Da einzelne Tatbestandsmerkmale eines Gesetzes sowohl eng als auch weit ausgelegt werden können (so auch Gersch in Klein, AO, 15. Aufl., § 4 Rz. 27), ist im Kontext des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO die Prüfung der Reichweite des Verschuldens unerlässlich.
Reichweite des Verschuldens: Dahingehend ist das Tatbestandsmerkmal "Verschulden" hinsichtlich
- des Inhaltes,
- des Zeitpunktes,
- des Adressaten der steuerrechtlichen Norm und
- dem daraus abgeleiteten Verschuldungsmaßstab
auszulegen. In dem Zusammenhang bezieht sich der Inhalt auf die jeweils zu erfüllenden Pflichten. Die Auslegung hinsichtlich des Zeitpunktes grenzt dabei das Verschulden in zeitlicher Hinsicht ein, während die Auslegung nach dem Adressaten den persönlichen Geltungsbereich bestimmt. Der daraus abgeleitete Verschuldungsmaßstab legt sodann den für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals grobes Verschulden maßgeblichen Maßstab der Pflichtverletzung fest.
b) Inhalt des groben Verschuldens
Inhaltlich knüpft das Verschulden im Steuerverfahren an die Verletzung der Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen an (Koenig in Koenig AO, 4. Aufl., § 173 AO Rz. 112; Kühn / Hofmann, AO, 17. Aufl., § 173, Tz. 6 lit. a.). Daher bezieht sich das Verschulden im Kontext des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sowohl auf die Verletzung der Pflicht zur Angabe von steuerlich vollständigen, wahrheitsgemäßen und erheblichen Tatsachen und Beweismittel als auch auf die wahrheitsgemäße Offenlegung der erheblichen Tatsachen und Beweismittel zur Aufklärung des Sachverhalts (vgl. hierzu Koenig in Koenig AO, 4. Aufl., § 173 AO Rz. 112; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 74). Des Weiteren ist das Verschulden inhaltlich auf das nachträgliche Bekanntwerden gerichtet (vgl. hierzu Szymczak in Koch/Scholz, AO, 5. Aufl., § 173 Rz. 19). Daher muss der grob schuldhafte Pflichtverstoß in Bezug auf die Mitwirkungspflichten das nachträgliche Bekanntwerden der Beweismittel und Tatsachen betreffen (von Groll in HHSp, § 173 AO Rz. 273). Überdies ist zudem eine Kausalität zwischen dem Verschulden und dem nachträglichen Bekanntwerden notwendig. Die grob schuldhafte Pflichtverletzung muss daher ursächlich für das nachträgliche Bekanntwerden sowie für die Nichtberücksichtigung der Tatsachen und Beweismittel sein (BFH v. 16.4.1997 – XI R 27/96, BFH/NV 1998, 1; vgl. hierzu Koenig in Koenig AO, 4. Aufl., § 173 AO Rz. 113; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 73; von Groll in HHSp, § 173 AO Rz. 273).
Grobes Verschulden: Unter grobem Verschulden sind Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu fassen (BFH v. 3.2.1983 – IV R 153/80, BStBl. II 1983, 324; v. 10.2.2015 – IX R 18/14, BStBl. II 2017, 7 = AO-StB 2015, 223; AEAO zu § 173 Tz. 5.1. S. 2; vgl. auch Barwitz, Verschulden im Steuerrecht, 1987 (zugl. Diss. Augsburg 1986), S. 119; Koenig in Koenig AO, 4. Aufl., § 173 AO Rz. 111; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 74; Rüsken in Klein, AO, 15. Aufl., § 173 Rz. 112; von Groll in HHSp, § 173 AO Rz. 274; von Wedelstädt in Gosch, AO/FGO, § 173 AO Rz. 85 AO). Dabei ist Vorsatz bei einer gewollten oder zumindest billigend in Kauf genommenen Verletzung einer dem Steuerpflichtigen bekannten Mitwirkungspflichten anzunehmen (Szymczak in Koch/Scholz, AO, 5. Aufl., § 173 Rz. 19; so auch Barwitz, Verschulden im Steuerrecht, 1987 (zugl. Diss. Augsburg 1986), S. 89; Koenig in Koenig AO, 4. Aufl., § 173 AO Rz. 111; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 74; von Groll in HHSp, § 173 AO Rz. 274; von Wedelstädt in Gosch, AO/FGO, § 173 AO Rz. 85). Grobe Fahrlässigkeit hingegen liegt in Anlehnung an das Zivilrecht bei einem außergewöhnlich schweren Verstoß gegen die vom steuerlichen Verfahrensrecht dem Steuerpflichtigen abverlangten Sorgfaltspflichten vor (Barwitz, Verschulden im Steuerrecht, 1987 (zugl. Diss. Augsburg 1986), S. 95; so auch Löwisch in Staudinger/Caspers BGB, § 276 BGB Rz. 93; Stadler in Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, 18. Aufl., § 276 BGB Rz. 33; Ulber in Erman, BGB, 16. Aufl., § 276 Rz. 22). Da die Finanzbehörde gem. 85 AO Steuern gleichmäßig festzulegen und zu erheben haben, ist dabei auf einen rein objektiven Pflichtverstoß des Steuerpflichtigen abzustellen. Eine Auslegung anhand des subjektiven Verschuldungsprinzips steht u.E. dem Besteueru...