Fahrlässigkeit ist nach § 276 BGB das Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (Ulber in Erman, BGB, 16. Aufl., § 276 BGB Rz. 14; Seichter in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK/BGB, 9. Aufl., § 276 BGB Rz. 8; Stadler in Jauernig, BGB, 18. Aufl., § 276 Rz. 23; Borggreve, AO-StB 2007, 333 [333 f.]), weshalb als Maßstab des Verschuldens die Sorgfaltspflichten des Steuerpflichtigen heranzuziehen ist. Es ist fraglich, welche Anforderungen an den Steuerpflichtigen im Hinblick auf die Festsetzung der Steuern bestehen, auf die sich § 173 AO inhaltlich bezieht.
Pflichtverletzung: Dabei kommen als Pflichten des Steuerpflichtigen lediglich die sich aus dem Steuerschuldrecht und dem Steuerpflichtenverhältnis ergebenden Pflichten in Betracht. Anders als im Bürgerlichen Recht kann man nicht von einer allgemeinen Sorgfaltspflicht ausgehen. Daher können sich im Bereich der Eingriffsverwaltung nur Pflichten aus dem Gesetz ergeben (Borggreve, AO-StB 2007, 333 [333 f.]). Vom Steuerpflichtigen sind deshalb vor allem die Erfüllung der Mitwirkungspflichten bei der Festsetzung der Steuern zu erwarten. Als Konsequenz bedeutetet die Verletzung der gesetzlichen Mitwirkungspflichten deshalb das Außerachtlassen der im Steuerverhältnis erforderlichen Sorgfalt.
Einflussnahmemöglichkeit: Ferner setzt ein Verschulden neben der Pflichtverletzung voraus, dass eine Einflussnahme des Steuerpflichtigen, insb. eine Erfüllung der konkreten Mitwirkungspflicht hinsichtlich des rechtzeitigen Bekanntwerdens von Tatsachen oder Beweismitteln geeignet, möglich und zumutbar ist (BFH v. 19.12.2007 – X B 34/07, BFH/NV 2008, 597; hierzu auch Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 90 AO Rz. 13; Roser in Gosch, AO/FGO, § 90 AO Rz. 19; Söhn in HHSp, § 90 AO Rz. 73; Voss / Jäger, DB 1979, 1315 [1316]; Hahlweg in Koenig AO, 4. Aufl., § 90 AO Rz. 12). Das Verschulden wird deshalb durch die Verhältnismäßigkeit der Mitwirkung beschränkt.
- Geeignet sind dabei per se zunächst alle Mitwirkungen des Steuerpflichtigen, die einen Rückschluss auf Besteuerungsgrundlagen zulassen. Die geforderten Maßnahmen müssen daher zumindest der Sachverhaltsaufklärung förderlich (Roser in Gosch, AO/FGO, § 90 AO Rz. 22; Söhn in HHSp, § 90 AO Rz. 75) und möglich sein (so auch Roser in Gosch, AO/FGO, § 90 AO Rz. 24; Söhn in HHSp, § 90 AO Rz. 80).
- Das Attribut "möglich" setzt eine Erfüllbarkeit der Mitwirkungspflichten voraus (so auch Roser in Gosch, AO/FGO, § 90 AO Rz. 24; Söhn in HHSp, § 90 AO Rz. 80). Der Steuerpflichtige muss demnach imstande sein, die bekanntzugebenden Tatsachen oder Beweismittel vorzubringen (so auch Roser in Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. Aufl., § 90 AO Rz. 24; Söhn in HHSp, § 90 AO Rz. 80).
- Zumutbar sind ferner Mitwirkungspflichten, wenn sie nicht einen unvernünftig hohen Aufwand für den Steuerpflichtigen bedeuten würden (so in etwa Söhn in HHSp, § 90 AO Rz. 92). Daher müssen Steuerpflichtige bis zur Zumutbarkeitsgrenze an der Sachaufklärung mitwirken (BFH v. 19.12.1952 – V z 66/52 S, BStBl. III 1953, 63; v. 12.7.1974 – III R 116/72, BStBl. II 1975, 25; so auch Roser in Gosch, AO/FGO, § 90 AO Rz. 24; Söhn in HHSp, § 90 AO Rz. 72). Insoweit erfolgt eine Begrenzung der Mitwirkungspflichten, infolgedessen unter Verschulden im Sinne dieser Vorschrift die Verletzung der verhältnismäßigen Mitwirkungspflichten zu verstehen ist.
Verschulden i.S.v. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO: Damit ist jedoch noch nicht die Frage geklärt, wann grobes Verschulden i.S.v. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO vorliegt. Nach dem Gesetz kommt in Fall des groben Verschuldens eine Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden zugunsten des Steuerpflichtigen nicht in Betracht, sofern nicht ausnahmsweise ein Zusammenhang i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO vorhanden ist.
Wie bereits erörtert, ist unter dem Begriff des Verschuldens einerseits Vorsatz und andererseits grobe Fahrlässigkeit zu verstehen. Fraglich zur Abgrenzung des groben Verschuldens hingegen ist, unter welchen Voraussetzungen das Attribut "grob" vorliegt. Während Vorsatz in jedem Fall unter grobes Verschulden zu fassen wäre, ist der anzuwendende Verschuldungsgrad der Fahrlässigkeit durchaus zweifelhaft. Denkbar wäre sowohl eine Auslegung des Begriffes als bloße Abgrenzung zum nicht groben Verschulden als auch eine Auslegung als Abgrenzung zu weiteren, in sich weitergehend differenzierteren Verschuldensgraden, etwa zur leichten und mittleren Fahrlässigkeit.
Mitverschulden des FA: Nachdem festgestellt wurde, dass eine Zurechnung von Drittverschulden nicht möglich ist, stellt sich weiterhin die Frage, ob ein Mitverschulden des Finanzamts als Berechtigte der Mitwirkungspflichten denkbar ist, durch das der Haftungsrahmen des groben Verschuldens betroffen ist. In Anlehnung an das Zivilrecht ist daher durchaus zu hinterfragen, inwiefern bürgerlich-rechtliche Prinzipien zur Abwicklung des Schuldverhältnisses wie beispielsweise die analoge Anwendung des § 254 BGB zur Anwendung im Besteuerungsverfahren gelangen könnten (Müller, AO-StB...