Leitsatz
Der Steuerpflichtige handelt in aller Regel grob schuldhaft i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, wenn er die Frist zur Abgabe der Steuererklärungen versäumt und den Erlass eines Schätzungsbescheids veranlasst. Dieses Verschulden wirkt bis zur Bestandskraft des Schätzungsbescheids fort und wird nicht etwa durch ein späteres leichtes Verschulden des Steuerpflichtigen bei der Anfechtung dieses Bescheids verdrängt.
Normenkette
§ 162 Abs. 2 und 3 AO , § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO
Sachverhalt
Das FA hatte Einkommen- und Umsatzsteuer aufgrund einer Schätzung gegenüber dem Kläger festgesetzt. Ein Einspruchschreiben ging beim FA nicht ein, wurde aber nach Behauptung des Klägers abgesandt. Der Kläger beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, hatte damit aber auch im Klageverfahren keinen Erfolg. Daraufhin beantragte der Kläger, die Bescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO entsprechend den jetzt abgegebenen Steuererklärungen zu ändern.
Nachdem das FA den Antrag abgelehnt hatte, gab das FG der dagegen erhobenen Klage statt. Den Kläger treffe an der Versäumung der Einspruchsfrist kein grobes Verschulden, sondern nur einfache Fahrlässigkeit.
Entscheidung
Die Revision des FA hatte Erfolg. Der BFH urteilte, die Nichtabgabe der Steuererklärungen stelle ein grobes Verschulden dar, das mangels sachlicher Entscheidung über den Einspruch infolge der Fristversäumnis fortwirke und nicht durch das geringere Verschulden bei Versäumung der Einspruchsfrist verdrängt werde.
Hinweis
1. Ist der Steuerbescheid aufgrund einer Schätzung ergangen und ist die Schätzung zu hoch ausgefallen, wird der Steuerpflichtige sich bemühen, mit einem Einspruch gegen den Bescheid die Steuererklärung vorzulegen und so eine Herabsetzung im Einspruchsverfahren zu erreichen. Das in der vorherigen Nichtabgabe der Steuererklärung liegende grobe Verschulden hat dann keine Bedeutung. Allenfalls kann es zur Festsetzung eines Verspätungszuschlags kommen.
2. Der Besprechungsfall betrifft nun den selteneren Fall, dass nach der Schätzung die Einspruchsfrist versäumt wird. Die Steuerfestsetzung ist dann bestandskräftig und die verspätet abgegebene Steuererklärung kann nicht mehr berücksichtigt werden. Wie der BFH im hiesigen Urteil klarstellt, kann auch keine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen durchgeführt werden. Eine solche Änderung setzt voraus, dass den Steuerpflichtigen am nachträglichen Bekanntwerden kein grobes Verschulden trifft. Das Verschulden ist in Bezug auf die Handlungen zu prüfen, die zu der letzten materiellen Steuerfestsetzung geführt haben. Im entschiedenen Fall war deshalb das Verschulden bei Nichtabgabe der Erklärung maßgeblich, nicht das Verschulden bei verspätetem Einspruch. Denn wenn ein Einspruch als unzulässig verworfen wird, findet keine Prüfung der materiellen Rechtslage statt. Man kann also nicht dem früheren groben Verschulden durch ein geringes Verschulden bei Einlegung des Einspruchs die Sperrwirkung gegenüber einer Steuer mindernden Änderung nach § 173 AO nehmen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 16.9.2004, IV R 62/02