Leitsatz

1. § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG bezweckt die Abwehr missbräuchlicher Gestaltungen durch Verbindung des grundsätzlich steuerfreien Wechsels im Gesellschafterbestand einer Gesamthand mit der steuerfreien Übernahme von Grundstücken aus dem Gesamthandsvermögen. Die Vorschrift ist teleologisch zu reduzieren, soweit abstrakt keine Steuer zu vermeiden war. Auf einen konkreten Missbrauch im Einzelfall kommt es nicht an.

2. Abstraktes Missbrauchspotential fehlt, wenn der Wechsel im Gesellschafterbestand ausnahmsweise grunderwerbsteuerbar war. § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG ist insoweit nicht anzuwenden.

3. Es ist nicht maßgebend, ob die Grunderwerbsteuer festgesetzt und entrichtet wurde.

 

Normenkette

§ 6 Abs. 4 Satz 1, Abs. 2 Sätze 1 und 2, § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 GrEStG, § 738 BGB

 

Sachverhalt

Die GmbH & Co. KG (KG) war seit 2006 Eigentümerin von in A belegenem Grundvermögen. Die Komplementär-GmbH war nicht am Vermögen der KG beteiligt.

Nach dem Gesellschaftsvertrag der KG sollte ein Gesellschafter mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen aus der Gesellschaft ausscheiden und diese durch die verbleibenden Gesellschafter fortgeführt werden. Für den Fall, dass nach dem Ausscheiden des insolventen Gesellschafters nur noch ein Gesellschafter verblieben wäre, so dass das Ausscheiden die Auflösung der Gesellschaft zur Folge gehabt hätte, war vereinbart, das dieser das Unternehmen unter der bisherigen Firma fortsetzen dürfte.

Die Klägerin wurde im Februar 2010 zunächst als Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) gegründet und firmiert seit dem 19.11.2013 als GmbH. Einzeln vertretungsberechtigter Geschäftsführer war und ist der Insolvenzverwalter R. Durch notarielle Verträge vom 22.2.2010 erwarb die Klägerin sämtliche Kommanditanteile an der KG sowie sämtliche Geschäftsanteile an der Komplementär-GmbH. Sie bestellte R zum einzeln vertretungsberechtigten Geschäftsführer der GmbH.

Die Grunderwerbsteuer, die das FA gegen die KG wegen des Anteilserwerbs der Klägerin an ihr zum 22.2.2010 festsetzte, entrichtete die KG aufgrund Insolvenz nicht.

Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Komplementär-GmbH wurde am 30.9.2010 eröffnet. Das FA setzte wegen des zu diesem Zeitpunkt erfolgten Übergangs des Gesellschaftsvermögens der KG auf die Klägerin durch Anwachsung nach § 738 BGB gegen diese Grunderwerbsteuer fest. Einspruch und Klage blieben erfolglos (FG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 8.5.2018, 1 K 246/14, Haufe-Index 11988196, EFG 2018, 1732).

 

Entscheidung

Der BFH hob auf die Revision der Klägerin die Vorentscheidung und die Festsetzung der Grunderwerbsteuer auf. Der durch die Anwachsung vom 30.9.2010 bewirkte Erwerbsvorgang unterliege zwar nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer, sei aber nach § 6 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GrEStG von der Steuer befreit. § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG stehe dem aufgrund einer teleologischen Reduktion seines Anwendungsbereichs nicht entgegen. Der Erwerb sämtlicher Geschäftsanteile der KG durch die Klägerin am 22.2.2010 sei nach § 1 Abs. 2a GrEStG steuerbar gewesen. Somit habe die Überführung der Grundstücke in den grunderwerbsteuerrechtlichen Zurechnungsbereich der Klägerin bereits der Grunderwerbsteuer unterlegen. Schwierigkeiten bei Festsetzung und Erhebung der Steuer seien für die Reichweite des § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG nicht von Bedeutung.

 

Hinweis

Der BFH befasst sich im Besprechungsurteil mit dem Entstehen von Grunderwerbsteuer bei einer Anwachsung und der teleologischen Reduktion des Anwendungsbereichs des § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG.

1. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 GrEStG unterliegt der Grunderwerbsteuer u.a. der Übergang des Eigentums an einem inländischen Grundstück, wenn kein den Anspruch auf Übereignung begründendes Rechtsgeschäft vorausgegangen ist und es auch keiner Auflassung bedarf.

Dies kann u.a. der Fall sein, wenn aufgrund des Gesellschaftsvertrags eine GmbH und Co. KG wegen der Insolvenz der Komplementär-GmbH aufgelöst wird und ihr Vermögen nach § 738 BGB durch Anwachsung auf die einzige Kommanditistin übergeht.

2. Geht ein Grundstück von einer Gesamthand in das Alleineigentum einer an der Gesamthand beteiligten Person über, so wird die Steuer nach § 6 Abs. 2 Satz 1 GrEStG in Höhe des Anteils nicht erhoben, zu dem der Erwerber am Vermögen der Gesamthand beteiligt ist. Nach § 6 Abs. 2 Satz 2 GrEStG gilt dies entsprechend, wenn ein Grundstück bei der Auflösung der Gesamthand in das Alleineigentum eines Gesamthänders übergeht.

3. Nach § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG gelten die Vorschriften der Abs. 1 bis 3 insoweit nicht, als ein Gesamthänder innerhalb von fünf Jahren vor dem Erwerbsvorgang seinen Anteil an der Gesamthand durch Rechtsgeschäft unter Lebenden erworben hat. Die Vorschrift ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH gegen den Wortlaut teleologisch zu reduzieren.

a) Es handelt sich um eine Missbrauchsverhinderungsvorschrift, mit der Steuerumgehungen durch die Kombination eines außerhalb von § 1 Abs. 2a GrEStG nicht steuerbaren Wechsels im Gesellschafterbestand einer...

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