Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Die gewährte Vergünstigung ist rückwirkend zu versagen, soweit sich innerhalb von 10 Jahren nach dem Übergang des Grundstücks auf die Gesamthand der Anteil des übertragenden Gesamthänders am Vermögen der erwerbenden Gesamthand vermindert. Diese Regelung dient der Vermeidung von Steuerumgehungen.
Bei der Steuervergünstigung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 GrEStG ist ohne Bedeutung, ob der Erwerber nach dem Erwerb an der übertragenden Gesamthand beteiligt bleibt. Zu beachten sind jedoch auch hier die Beschränkungen des § 6 Abs. 4 GrEStG, der eine Mindestzeit für die Dauer der Beteiligung des Erwerbers an der übertragenden Gesamthand vor dem Erwerbsvorgang verlangt.
Als Verminderung des Anteils des übertragenden Gesamthänders am Vermögen der erwerbenden Gesamthand ist z. B.
- das Ausscheiden aus der Gesellschaft,
- die Herabsetzung der Beteiligung durch Verkauf, Übertragung usw. auf andere Gesellschafter oder einen Treuhänder, und
- die Aufnahme neuer Gesellschafter
zu verstehen.
Eine Verminderung des Anteils des übertragenden Gesamthänders am Vermögen der Gesamthand kann auch durch anderweitige Vereinbarungen (z. B. schuldrechtliche Vereinbarungen) erfolgen, wenn es dadurch bei im Übrigen unveränderter bürgerlich-rechtlicher Beteiligung am Gesamthandsvermögen wirtschaftlich zu einer Beschränkung oder Aufgabe der Beteiligung am wirtschaftlichen Wert des Gesellschaftsanteils und somit an der Teilhabe am Wert des eingebrachten Grundstücks kommt.
Tatsächliche Verhältnisse entscheidend
Ob aufgrund derartiger schuldrechtlicher Vereinbarungen einem Gesamthänder sein Anteil am wirtschaftlichen Wert des Gesamthandsvermögens nicht mehr zuzurechnen ist, ergibt sich nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall.
Auch die Umwandlung des grundstücksübertragenden Gesamthänders sowie die formwechselnde Umwandlung der erwerbenden Gesamthand in eine Kapitalgesellschaft führt zum rückwirkenden Wegfall der Steuervergünstigung für die Grundstücksübertragung.
Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union
Keine schädliche Verminderung liegt vor, soweit sich der Anteil des übertragenden Gesamthänders am Vermögen der Gesamthand allein durch den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union (sog. Brexit) vermindert. Hintergrund ist die durch den Brexit eingetretene Umqualifizierung einer Limited als Kapitalgesellschaft hin zu einer Personengesellschaft oder – wenn die Gesellschaften nur einen Gesellschafter haben – zu einer natürlichen Person. Die entsprechende Nachfolge der Limited führt die verbleibende Behaltensfrist fort; sollte diese verletzt werden, ist insoweit eine gewährte Steuervergünstigung rückwirkend zu versagen.
Soweit eine Steuerumgehung objektiv ausgeschlossen ist, ist die Vorschrift des § 5 Abs. 3 bzw. des § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG ihrer Zielrichtung entsprechend einschränkend auszulegen – teleologische Reduktion.