Leitsatz
Der Gegenstand der Haftung (§ 73 Satz 1 AO) ist für eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft (§ 14 Abs. 1 Satz 1 KStG) auf solche Steueransprüche beschränkt, die gegen den durch das konkrete Organschaftsverhältnis bestimmten Organträger gerichtet sind. Dies ist auch bei mehrstufigen Organschaften zu beachten.
Normenkette
§ 73 Satz 1 AO, § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG
Sachverhalt
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der A GmbH, der Rechtsnachfolgerin der B GmbH. Im Jahr 1990 hatte die B GmbH mit ihrer damaligen Muttergesellschaft, der C GmbH, einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag geschlossen. Im Jahr 2000 wurde die C GmbH (unter Beibehaltung der Organschaft mit der B GmbH) auf die D AG verschmolzen, die wiederum mit dem sie beherrschenden Unternehmen, der E AG, einen Gewinnabführungsvertrag (mit Wirkung zum 1.1.2001) abgeschlossen hatte.
Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der E AG nahm das FA die A GmbH (als Rechtsnachfolgerin der B GmbH) mit auf § 191 i.V.m. § 73 sowie § 45 Abs. 1 AO gestützten Haftungsbescheid für einen Teil der rückständigen Körperschaftsteuer 2001 und 2002 sowie Solidaritätszuschläge 2001 und 2002 der E AG i. L. in Anspruch. In diesem Bescheid hatte das FA unter dem Gesichtspunkt einer "Veranlassungshaftung" den Haftungsanteil durch den Anteil des Einkommens der B GmbH (originäres Organeinkommen) an der Summe der (aller) positiver Organeinkommen bei der E AG bestimmt. Die weiteren Gesellschaften, die mit der E AG in den Jahren 2001 und 2002 eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft gebildet hatten, wurden ebenfalls nach dieser Berechnungsmethode nach § 73 AO in Anspruch genommen. Die Klage gegen den Haftungsbescheid war erfolglos (FG Düsseldorf, Urteil vom 19.2.2015, 16 K 932/12 H (K), Haufe-Index 8515750).
Entscheidung
Der BFH hob das angefochtene Urteil und den Haftungsbescheid auf.
Hinweis
1. Streitig war der Umfang der Haftung bei einer sog. mehrstufigen Organschaft (als mehrstufiges Beteiligungsverhältnis mit organschaftlicher Vereinbarung parallel zum unmittelbaren Beteiligungsverhältnis). Es geht nicht um eine sog. mittelbare oder Klammer-Organschaft (finanzielle Eingliederung vermittels der mittelbaren Beherrschung und direkter Vereinbarung).
2. Der BFH macht es (sehr) kurz: Der Gegenstand der Haftung sei für eine Organgesellschaft auf die Steueransprüche beschränkt, die sich gegen den durch das konkrete Organschaftsverhältnis bestimmten Organträger richten. Zwar bezwecke die Haftungsnorm, die steuerlichen Risiken auszugleichen, die mit der Verlagerung der Rechtszuständigkeit auf eine andere Person verbunden sind – aber der Wortlaut sei eben enger (personelle Beschränkung auf den Organträger).
Dass bei gestuften Organschaftsverhältnissen ein weiter gehender Haftungsumfang zweckgerecht sei ("Haftungslücke"), sei eine rechtspolitische Frage, die nicht von den Gerichten, sondern zuvörderst vom Gesetzgeber zu beantworten sei und nicht Gegenstand einer ausdehnenden Gesetzesauslegung sein könne.
3. Man wird nachvollziehen können, dass ein Gesetzgeber hier möglicherweise "nachjustieren" wird, um die durch das übergegangene Besteuerungssubstrat konkret ausgelöste Steuer bei der Person (als Steuerschuldner), der das verlagerte Besteuerungssubstrat tatsächlich als Besteuerungsgrundlage zugerechnet wird, zu erfassen. Dadurch würde eine zweckungerechte (weil durch willkürliches Einziehen einer Stufe gestaltbare) "Abschirmwirkung" in der mehrstufigen Organschaftskette vermieden.
Vielleicht könnte der Gesetzgeber bei dieser Gelegenheit auch eindeutig regeln, dass sich die Haftung auf den Solidaritätszuschlag (der nicht Gegenstand der organschaftlichen Vereinbarung ist) erstreckt (so wohl AEAO zu § 73 Nr. 3.1 Abs. 6).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 31.5.2017 – I R 54/15