Leitsatz
Es bestehen ernstliche Zweifel, ob die Abführung von LSt in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbare Rechtshandlung darstellt oder ob ein sog. Bargeschäft nach § 142 InsO vorliegt, das nur unter den Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO angefochten werden kann.
Normenkette
§ 69 Abs. 3 FGO, § 69 AO, § 41a Abs. 1 EStG, § 130 Abs. 1 Nr. 1, § 133, § 142 InsO
Sachverhalt
Am 1.4.2000 wurde über das Vermögen einer KG das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Geschäftsführer der KG hatte LSt nebst steuerlicher Nebenleistungen für Januar 2000 nicht mehr abgeführt. Deshalb wird er als Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Er hat gegen den Haftungsbescheid Klage erhoben und AdV beantragt.
Das FG hat dem Aussetzungsantrag stattgegeben: Die Pflichtverletzung des Geschäftsführers sei für den Haftungsschaden nicht kausal, weil die bei pflichtgemäßem Verhalten vorzunehmende Rechtshandlung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar gewesen wäre.
Entscheidung
Der BFH hat die vom FG zugelassene Beschwerde zurückgewiesen, weil nach dem Urteil des BGH vom 22.1.2004, IX ZR 39/03 in BGHZ 157, 350 zweifelhaft sei, ob sich nicht die Abführung von LSt in der Insolvenz des Arbeitgebers gläubigerbenachteiligend auswirke und dies die Kausalität der Pflichtverletzung in Frage stelle.
Ob ein Bargeschäft i.S.v. § 142 InsO vorliege, was die Anfechtungsmöglichkeit beseitigen würde, was der BGH a.a.O. jedoch verneint hat, sei trotz des BFH-Beschlusses vom 21.12.1998, VII B 175/98, BFH/NV 1999, 745 ernstlich zweifelhaft.
Hinweis
1. Beachten Sie in verfahrensrechtlicher Hinsicht, dass die Beschwerde gegen einen AdV-Beschluss nur statthaft ist, wenn das FG sie zugelassen hat. Ein Rechtsmittel gegen die Nichtzulassung ist nicht gegeben. Die Zulassungsgründe sind dieselben wie bei der Revision (§ 115 Abs. 2 FGO), obwohl bekanntlich im AdV-Verfahren nur eine "summarische" Prüfung der Rechtslage stattfindet. Die Zulassung kann also auch zur Klärung der einschlägigen materiell-rechtlichen Zweifelsfragen erfolgen. Mitunter beantwortet der BFH freilich in der Beschwerde-Entscheidung die Frage, die zur Beschwerdezulassung Anlass gegeben hat, nicht, sondern behält sich diese für ein etwaiges Revisionsverfahren vor.
2. Die Nichtabführung einzubehaltender und anzumeldender LSt zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten stellt regelmäßig eine zumindest grob fahrlässige Verletzung der Geschäftsführerpflichten dar. Der Geschäftsführer haftet aber nur dann, wenn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen seinem Fehlverhalten und dem Eintritt des Steuerausfalls besteht. Der Steuerausfall darf also nicht etwa auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Haftungsschuldners unvermeidbar gewesen sein. Dies kann nach der Entscheidung des BFH auch dann in Betracht kommen, wenn ein Anspruch auf Rückgewähr des vom FA bei pflichtgemäßem Verhalten erlangten Steuerbetrags bestünde (so jedenfalls BGH, Urteile vom 14.11.2000, VI ZR 149/99, ZIP 2001, 80 sowie vom 18.4.2005, II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026). Der BFH hat allerdings bisher nicht grundsätzlich dazu Stellung genommen, ob und in welchem Umfang bei der Haftung nach § 69 AO hypothetische Geschehensabläufe Berücksichtigung finden können.
3. Nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, anfechtbar, wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, sofern der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war und wenn der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit oder Umstände kannte, die auf eine solche hätten zwingend schließen lassen. Anfechtbarkeit nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist dann nicht gegeben, wenn es sich bei der Abführung der geschuldeten LSt um ein Bargeschäft i.S.v. § 142 InsO handeln würde. In dem Beschluss vom 21.12.1998, VII B 175/98 (BFH/NV 1999, 745) hat der BFH beiläufig ein Bargeschäft angenommen, weil die Abzugsbeträge zum Arbeitslohn gehörten, auf den die Arbeitnehmer einen arbeitsvertraglichen Anspruch haben. Dem ist jedoch jetzt der BGH in seinem Urteil vom 22.1.2004, IX ZR 39/03, BGHZ 157, 350 entgegengetreten.
Der BFH hat sich in der Besprechungsentscheidung eine spätere Klärung der Rechtslage vorbehalten.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 11.8.2005, VII B 244/04