Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindungswirkung des Grundlagenbescheides trotz eingetretener Festsetzungsverjährung
Leitsatz (redaktionell)
- Die vom Grundlagenbescheid für den Folgebescheid ausgehende Bindungswirkung hat von Gesetzes wegen Vorrang vor der Rechtssicherheit durch die Bestandskraft und den Ablauf der Festsetzungsverjährung bei dem Folgebescheid.
- Die Bindungswirkung eines (geänderten) Grundlagenbescheids gebietet die Berücksichtigung der einheitlich und gesondert festgestellten Besteuerungsgrundlagen in vollem Umfang in einem neu zu erlassenden Einkommensteuerbescheid als Folgebescheid, selbst wenn insoweit bereits Festsetzungsverjährung eingetreten und die Anpassungsfrist des § 171 Abs. 10 AO bereits abgelaufen ist.
- Das Finanzamt ist zur Anpassung des Folgebescheids an den Grundlagenbescheid auch dann verpflichtet, wenn ein zunächst nicht oder fehlerhaft ausgewerteter Grundlagenbescheid später geändert wird, obwohl hinsichtlich des Folgebescheids die reguläre Festsetzungsfrist sowie die Anpassungsfrist nach § 171 Abs. 10 AO bereits abgelaufen ist.
Normenkette
AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 171 Abs. 10, § 182 Abs. 1 S. 1; FGO § 110 Abs. 1 S. 1
Streitjahr(e)
1990
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 26.04.2006; Aktenzeichen XI R 85/03) |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen der Veranlagung der Kläger zur Einkommensteuer für 1990 streitig, ob - wie die Kläger meinen - die Rechtskraft eines die ursprüngliche Steuerfestsetzung wegen Festsetzungsverjährung aufhebenden Urteils gemäß § 110 Finanzgerichtsordnung (FGO) der Auswertung eines erst später geänderten Grundlagenbescheids insoweit entgegensteht, als die zunächst (unter dem Vorbehalt der Nachprüfung) einheitlich und gesondert festgestellten Besteuerungsgrundlagen bereits in dem durch Urteil aufgehobenen Einkommensteuerbescheid berücksichtigt worden waren, oder ob - wie der Beklagte meint - die Bindungswirkung des (geänderten) Grundlagenbescheids gemäß §§ 182, 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 171 Abs. 10 Abgabenordnung (AO) die Berücksichtigung der einheitlich und gesondert festgestellten Besteuerungsgrundlagen in vollem Umfang in einem neu zu erlassenden Einkommensteuerbescheid als Folgebescheid rechtfertigt bzw. gebietet.
Die Kläger, zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute, sind beide als Kommanditisten an der xxxxxxxxx KG (nachstehend: KG) in M beteiligt. Die Kläger, die seit 1986 im Bezirk des Beklagten wohnhaft sind, waren zunächst aufgrund der in 1991 eingereichten Einkommensteuererklärung durch das Finanzamt (FA) H mit Bescheid vom 29.12.1995 zur Einkommensteuer für das Streitjahr veranlagt worden. In dem Bescheid, durch den die Einkommensteuer auf x.xxx.xxx,-- DM festgesetzt worden war, waren u.a. die Einkünfte der Kläger aus der Beteiligung an der KG entsprechend dem ursprünglichen bzw. dem teilweise geänderten, weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheid des FA M über die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb vom 28.10.1991 bzw. 09.06.1993 berücksichtigt worden.
Gegen den Einkommensteuerbescheid hatten die Kläger Einspruch eingelegt, mit dem sie sich auf Festsetzungsverjährung beriefen und materiell-rechtliche Einwendungen vorbrachten. Während des Einspruchsverfahrens sind die Akten an den örtlich zuständigen Beklagten abgegeben worden, der den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 25.07.1997 als unbegründet zurückgewiesen und den materiell-rechtlichen Einwendungen durch einen geänderten Einkommensteuerbescheid vom 15.10.1998 während des vor dem Senat anhängig gewesenen Klageverfahrens 1 K 5359/97 abgeholfen hatte. In dem Änderungsbescheid waren nunmehr neben den Beteiligungseinkünften Einkünfte des Klägers aus selbständiger Arbeit (xxx.xxx,-- DM) und aus nichtselbständiger Arbeit (xx.xxx,-- DM) sowie Einkünfte der Kläger aus Kapitalvermögen (xxx.xxx,-- DM) und aus Vermietung und Verpachtung (./. xx.xxx,-- DM) berücksichtigt und die Einkommensteuer auf x.xxx.xxx,-- DM festgesetzt worden; nach Anrechnung von Lohn-, Kapitalertrag- und Körperschaftsteuer ergab sich ein verbleibender Betrag von x.xxx.xxx,-- DM. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 15.10.1998 Bezug genommen.
Nach Abweisung der Klage 1 K 4359/97 hat der Bundesfinanzhof (BFH) auf die Revision der Kläger mit Urteil vom 13.12.2001 III R 13/00 (Bundessteuerblatt -BStBl- II 2002, 406) das Senatsurteil vom 15.12.1999 und die Einkommensteuerbescheide 1990 vom 15.10.1998 und vom 29.12.1995 aufgehoben mit der Begründung, dass die Festsetzungsfrist durch den den Klägern erst in 1996 nach Ablauf der Festsetzungsfrist (31.12.1995) zugegangenen materiell unrichtigen Bescheid des örtlich unzuständigen FA H vom 29.12.1995 nicht gewahrt worden sei.
Nach Abschluss einer in 1994 angeordneten Betriebsprüfung bei der KG im Mai 2002 hat das FA M einen geänderten Feststellungsbescheid vom 19.07.2002 erlassen, der zu anteilig auf die Kläger entfallenden geänderten Beträgen für das Streitjahr 1990 wie folgt geführt hat: