Entscheidungsstichwort (Thema)
Europäische Union. Insolvenz. Internationale Zuständigkeit
Leitsatz (amtlich)
Die internationale Eröffnungszuständigkeit im Sinne des Artikels 16 EuInsVO kann nicht nachgeprüft werden.
Die prozessualen und materiellrechtlichen Wirkungen des Insolvenzverfahrens gemäß EuInsVO richten sich grundsätzlich nach der lex fori concursus, also nach dem Recht des Staates, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Für Arbeitsverhältnisse gilt dagegen das Recht des Mitgliedsstaates, das auf dem Arbeitsvertrag anzuwenden ist.
Ist deutsches Arbeitsrecht anwendbar, gelten damit auch die Regeln deutschen kollektiven Arbeitsrechts und die §§ 113, 120 ff InsO.
Normenkette
EGV 1346/2000 vom 29.05.2000; InsO §§ 113, 120
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 23.02.2010; Aktenzeichen 18 Ca 7856/09) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 23. Februar 2010 – 18 Ca 7856/09 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung, die die Beklagte dem Kläger unter dem 28. August 2009 zum 30. November 2009 ausgesprochen hat.
Der am 11. Februar 1968 geborene Kläger ist verheiratet und einem Kind unterhaltsverpflichtet. Er ist bei der Beklagten seit dem 01. September 1994 beschäftigt, zuletzt als Business-Development-Manager. Er erzielte ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von 11.500,00 EUR.
Die Beklagte ist Teil der weltweit agierenden A, einer der führenden Anbieter von Telekommunikationslösungen. Angesichts der wirtschaftlichen Situation des B wurden weltweit Insolvenzverfahren eingeleitet und der Entschluss getroffen, die einzelnen Geschäftsfelder der A in einem koordinierten Verfahren in den USA, in Kanada und in Europa zu verkaufen, um so ein möglichst gutes Ergebnis für die Insolvenzgläubiger erzielen zu können.
Mit Beschluss vom 14. Januar 2009 eröffnete der High Court of Justice in London (Az: 00542/2009) ein Administrationsverfahren über das Vermögen der englischen C und einiger Tochtergesellschaften innerhalb der Europäischen Union, so auch über das Vermögen der Beklagten, als Hauptinsolvenzverfahren im Sinne der Europäischen Insolvenzordnung vom 29. Mai 2000. Die Herren D, E, F und G wurden mit diesem Beschluss zu „Joint Administrators” (Administratoren) bestellt. Wegen der Einzelheiten dieses Beschlusses vom 14. Januar 2009 wird auf die Anlage B1 zum erstinstanzlichen Schriftsatz der Beklagten vom 06. Oktober 2009 (Bl. 40 ff. d. A.) verwiesen. Die Eröffnung des Administrationsverfahrens wurde vom Amtsgericht Frankfurt am Main am 27. Januar 2009 öffentlich bekannt gemacht und in das Handelsregister eingetragen.
Zur Vorbereitung des Verkaufs der verschiedenen Geschäftsfelder entschied die Geschäftsleitung unter anderem, dass bei der Beklagten 196 Arbeitsplätze gestrichen werden sollten, um zum einen wieder aus der Verlustzone zu kommen und zum anderen, um für potentielle Käufer wirtschaftlich interessanter zu werden. Zur Umsetzung des beschlossenen Personalabbaus schlossen die Beklagte, deren Gesamtbetriebsrat und die lokalen Betriebsräte der Standorte H, I, J und K am 17. Juli 2009 einen Interessenausgleich ab und verständigten sich darauf, den Abbau primär durch die Errichtung einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft und den Abschluss von Aufhebungsverträgen und nur soweit erforderlich durch Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen durchzuführen. Auf Seiten des Betriebsrats wurde der Interessenausgleich am 22. Juli 2009 sowohl von dem bei der Beklagten gebildeten Gesamtbetriebsrat als auch dem bei der Beklagten am Standort H gebildeten Betriebsrat unterzeichnet. Auf Seiten der Beklagten wurde der Interessenausgleich am 27. Juli 2009 durch den Administrator, Herrn E, unterzeichnet. Wegen der Einzelheiten dieses Interessenausgleichs wird Bezug genommen auf die Anlage B2 des erstinstanzlichen Schriftsatzes der Beklagten vom 06. Oktober 2009 (Bl. 59 ff d. A.). Diesem Interessenausgleich war, ebenfalls von den oben bezeichneten Personen unterschrieben, als Anlage eine Namensliste nach § 1 Abs. 5 KSchG / § 125 InsO beigefügt. Wegen der Einzelheiten dieser Anlage wird auf die Anlage B2 zum erstinstanzlichen Schriftsatz der Beklagten vom 06. Oktober 2009 (Bl. 45 ff. d. A.) verwiesen. Auf dieser Namensliste findet sich auch der Name des Klägers.
Die mit dem Betriebsrat im Interessenausgleich vereinbarte Namensliste wurde nach Durchführung einer Sozialauswahl aufgestellt, die ihrerseits auf einem Punkteschema basiert. Dieses Punkteschema gewichtet folgende Kriterien der Sozialauswahl wie folgt:
Betriebszugehörigkeit: |
2 Punkte /Jahr |
Lebensalter: |
1 Punkt / Lebensjahr |
Unterhaltspflichten: |
6 Punkte / Kind |
Familienstand: |
2 Punkte / verheiratet |
Schwerbehinderung: |
5 Punkte |
Unter Anwendung dieses Schemas wurde eine Sozialpunkteliste aller Mitarbeiter der Beklagten erstellt. Sodann wurden in den einzelnen Abteilungen die Anzahl der am wenigsten schut...