Mit dem BFH-Beschluss v. 10.1.2012 erfolgte die lange erwartete Vorlage des I. Senats des BFH: Es wird eine Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG insoweit gegen Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 25 sowie Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, als hierdurch für die Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbstständiger Arbeit die völkerrechtlich in eine DBA vereinbarte Freistellung der Einkünfte bei der Veranlagung ungeachtet des Abkommens nur gewährt wird, soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der Staat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden.
Dem gedanklich neuen Ansatz des BFH liegen zwei Annahmen zugrunde: Zum einen verstoße § 50d Abs. 8 EStG gegen bindendes Völkervertragsrecht als materielle Gestaltungsschranke und läuft damit der in Art. 25 GG niedergelegten Wertentscheidung des GG zum Vorrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts zuwider, ohne dass dafür ein tragfähiger Rechtfertigungsgrund vorliegt.
Zum anderen werden die Kläger dadurch in ihrem durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG gewährleisteten subjektiven Grundrecht auf Einhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung und damit auch des sog. Gesetzesvorbehaltes verletzt.
Zur Begründung verweist der BFH darauf, dass das BVerfG in mehreren Entscheidungen die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Verpflichtung aller staatlichen Organe zur Beachtung der EMRK, die kraft Zustimmung gern. Art. 59 Abs. 2 GG in den Rang eines innerstaatlichen Bundesgesetzes überführt worden ist, bestätigt hat. Das BVerfG habe sich dahin geäußert, dass der Gesetzgeber damit nach dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe gehalten ist, Völkervertragsrecht zu beachten, wenn nicht ausnahmsweise die Voraussetzungen vorliegen, von denen das BVerfG die Zulässigkeit der Abweichung vom Völkervertragsrecht abhängig macht.
Das BVerfG ist dem in seiner Grundsatz-Entscheidung vom 15.12.2015 nicht gefolgt. Völkerrechtliche Verträge entfalten zunächst keine Bindungswirkung, sondern werden erst über ein Zustimmungsgesetz Teil des Bundesrechts. Sie gehen damit anderen Gesetzen nur aufgrund des lex-specialis-Grundsatzes vor. Aufgrund dieser Rangordnung des DBA als einfaches Gesetz ist es möglich, durch ein noch spezielleres Gesetz ("ungeachtet des Abkommens…") einzelne Regelungen des DBA zu verdrängen bzw. zu überschreiben.
Keine Verdrängung durch zeitlich nachgelagertes DBA
Im o. g. Fall entschied das BVerfG zum im Jahr 1985 abgeschlossenen DBA-Türkei. § 50d Abs. 8 EStG wurde jedoch erst mit dem Steueränderungsgesetz 2003 eingeführt. Vor diesem Hintergrund stellte sich die Frage, ob ein Treaty Override nach dem lex-posterior-Grundsatz (Vorrang des jüngeren Gesetzes) wiederum von einem erst später in Kraft getretenen DBA-Zustimmungsgesetz überschrieben werden kann. Mit Urteil vom 25.5.2016 hat der BFH diese Frage verneint.