Ein bei Ablauf des Erbbaurechts nicht (vollständig) zu entschädigender Gebäudewert mindert den finanzmathematischen Wert des Erbbaurechts (§ 193 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 BewG). Die Regelung entspricht im Kern § 193 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 194 Abs. 4 BewG a.F.
Auf den Zeitpunkt des Ablaufs des Erbbaurechts ist die Differenz aus dem Wert des Grundstücks nach den §§ 179, 182 bis 191 und 196 BewG und dem Bodenwert nach § 179 BewG zu ermitteln. Hierbei ist die Restnutzungsdauer des Gebäudes bei Ablauf des Erbbaurechts zugrunde zu legen. Die Differenz ist nach Maßgabe der Anlage 26 zum BewG auf den Bewertungsstichtag abzuzinsen. Der abgezinste Wertansatz ist mit dem nicht zu entschädigenden Wertanteil zu multiplizieren und bei der Ermittlung des finanzmathematischen Werts wertmindernd anzusetzen.
(1) Regelungen bei der Verkehrswertermittlung
Für die Verkehrswertermittlung enthält § 50 Abs. 2 Satz 2 ImmoWertV eine zunächst vergleichbare Regelung. Bei einer, über die Restlaufzeit des Erbbaurechts hinausgehenden, Restnutzungsdauer der baulichen Anlagen ist bei der Ermittlung des finanzmathematischen Werts des Erbbaurechts der, bei Zeitablauf nicht zu entschädigende, Wertanteil der baulichen Anlagen abzuzinsen und abzuziehen. § 50 Abs. 2 Satz 2 ImmoWertV ist inhaltsgleich mit Nr. 4.3.2.2.2 Abs. 3 bis 6 der WertR 2006 (BR-Drucks. 407/21, 125). Der Wert mindert sich, wenn
- die Restnutzungsdauer des Gebäudes die Restlaufzeit des Erbbaurechts übersteigt und
- das Gebäude nicht (vollständig) zu entschädigen ist.
Im Rahmen der Wertermittlung werden daher zwei Fallkonstellationen unterscheiden:
- Restlaufzeit des Erbbaurechts ≥ Restnutzungsdauer des Gebäudes
- Restlaufzeit des Erbbaurechts < Restnutzungsdauer des Gebäudes
(s. u.a. Kröll/Hausmann/Rolf, Rechte und Belastungen in der Immobilienbewertung, 5. Aufl. 2015, Kap. 2 Rz. 131; Tillmann/Seitz, Wertermittlung von Erbbaurechten und Erbbaugrundstücken, 2020, S. 174). Erstgenannte Fallkonstellation ist in der Praxis häufig anzutreffen (s.a. Tillmann/Seitz, Wertermittlung von Erbbaurechten und Erbbaugrundstücken, 2020, S. 174). Ist die Restnutzungsdauer des Gebäudes am Bewertungsstichtag kürzer als die oder gleich der Restlaufzeit des Erbbaurechts, ergibt sich keine Wertminderung für das Erbbaurecht.
Bei der zweiten Konstellation ist der finanzmathematische Wert zu mindern, wenn der verbleibende Gebäudewert nicht (vollständig) zu entschädigen ist.
(2) BewG weicht von Verkehrswertermittlung ab
Im BewG wird auf die Prüfung verzichtet, ob die Restnutzungsdauer der baulichen Anlagen die Restlaufzeit des Erbbaurechts übersteigt. Nach § 193 Abs. 5 BewG ist grundsätzlich ein Gebäudewert zu ermitteln. Hintergrund sind die Regelungen über die Mindest-Restnutzungsdauer im Ertragswert- (§ 185 Abs. 3 Satz 6 BewG) und Sachwertverfahren (§ 190 Abs. 6 Satz 5 BewG), deren Anwendung nicht ausgeschlossen wurde.
Die Anwendung der Mindest-Restnutzungsdauer in Erbbaurechtsfällen ist wenig nachvollziehbar und entspricht nicht der Denkweise eines wirtschaftlich handelnden Marktteilnehmers.
(3) Gesetzlich vorgegebene Unterbewertung?
Durch die Anwendung der Mindest-Restnutzungsdauer kommt es – wie schon nach der Rechtslage vor dem 1.1.2023 (vgl. BT-Drucks. 16/11107, 20 und 21; s.a. 2. Beispiel in H B 193 (7) ErbStH 2019) – in den Fallgestaltungen, in denen die Restlaufzeit des Erbbaurechts die Restnutzungsdauer der baulichen Anlagen übersteigt und keine vollständige Entschädigung vereinbart wurde, regelmäßig zu einer Unterbewertung des Erbbaurechts, da bei der Ermittlung des finanzmathematischen Werts des Erbbaurechts nach dem BewG grundsätzlich ein abgezinster Gebäudewertanteil wertmindernd berücksichtigt wird. Im Rahmen der Verkehrswertermittlung würde keine Wertminderung vorgenommen werden.
Dieser Gebäudewertanteil ist korrespondierend bei der Ermittlung des finanzmathematischen Werts des Erbbaurechtsgrundstücks werterhöhend zu berücksichtigen (§ 194 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 193 Abs. 5 BewG). Erbbaugrundstücke werden in diesen Fällen folglich regelmäßig überbewertet (s. X. 2. b), dd)).