Eine weitere Zweifelsfrage könnte sich im Hinblick darauf stellen, ob die Inanspruchnahme der Tagespauschale in jedem Falle zwingend davon abhängig ist, dass der Steuerpflichtige an dem zum Ansatz gebrachten Tag tatsächlich im häuslichen Bereich gearbeitet hat. Der gesetzliche Wortlaut des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6c S. 1 EStG spricht klar dafür, und auch das eilig konsultierte Rechts- bzw. Bauchgefühl mag diese Frage womöglich als nicht ernstlich klärungsbedürftig erachten.
Angesichts der sprachlichen Ausgestaltung des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6c S. 2 EStG soll diese Frage hier gleichwohl – jedenfalls zum Zwecke der vorsichtigen kritischen Betrachtung – zumindest einmal in den Raum gestellt werden.
Ausweislich der nunmehr geltenden Textfassung (§ 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6c S. 2 EStG) soll die Möglichkeit zum Abzug der Tagespauschale unter bestimmten weiteren Voraussetzungen ausnahmsweise auch dann eröffnet sein, wenn die Tätigkeit am selben Kalendertag auswärts oder an der ersten Tätigkeitsstätte ausgeübt wird und dem Steuerpflichtigen dauerhaft kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht.Dem Wortlaut nach folgt hieraus m.E. nicht zwingend das Erfordernis, dass der Steuerpflichtige an dem Tag, an dem er sich auswärts oder an der ersten Tätigkeitsstätte betätigt, zusätzlich auch nur kurzfristig in seinem häuslichen Umfeld gearbeitet haben muss.
Die in diesem Sinne angelegte sprachliche Uneindeutigkeit wird umso stärker hervorgehoben unter vergleichender Einbeziehung der Formulierung des ursprünglichen Gesetzentwurfs (die kursivgedruckten Worte sind in der aktuellen Gesetzesfassung geändert worden): "Steht für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit dauerhaft kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung, ist ein Abzug der Tagespauschale zulässig, wenn die Tätigkeit am gleichen Kalendertag auch auswärts oder an der ersten Tätigkeitsstätte ausgeübt wird." Hier wird deutlich: Die Formulierung der ursprünglichen Textfassung eröffnete keinerlei sprachliche Spielräume dahingehend, einen Abzug der Pauschale (unter der Voraussetzung der dauerhaften Nichtverfügbarkeit eines anderen Arbeitsplatzes) auch dann zuzulassen, wenn der Steuerpflichtige nicht einmal kurzfristig in der häuslichen Sphäre gearbeitet hatte. Durch die veränderte Positionierung des Wortes "auch" wird ein derartiger Grad an Eindeutigkeit konterkariert.
Zieht man die Grenze vertretbarer Wortlautauslegung bis zu dem Punkt, bis zu dem "das ins Auge gefaßte Ergebnis nicht schockiert", so ist dieser Lesart jedenfalls nicht von Vornherein ihre Legitimation abzusprechen. Gleichwohl wird diese Argumentation im Ergebnis nicht durchgreifen können. Der Gesetzgeber wird – insbesondere vor dem Hintergrund einer Gesamtbetrachtung der reformierten (Pauschalierungs-)Systematik – ein derartiges Ergebnis mutmaßlich nicht beabsichtigt haben.
Beachten Sie: Auch wertungsmäßig wären mit einer derartigen Auslegung nahezu unüberwindbare Ungereimtheiten verbunden; die Annahme, das Gesetz würde die Nichtinanspruchnahme eines häuslichen Arbeitsplatzes dessen Inanspruchnahme steuerlich gleichsetzen, entbehrt einer vernünftigen Grundlage und würde im Ergebnis auf eine vorbehaltslose Steuervergünstigung für bestimmte Berufsgruppen hinauslaufen.
So ist vielmehr davon auszugehen, dass die Regelung des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6c Satz 2 EStG im engen Zusammenhang mit derjenigen des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6c Satz 1 EStG zu verstehen ist; Satz 2 soll damit nicht etwa eine von der tatsächlichen Betätigung im häuslichen Bereich losgelöste, eigenständige Pauschalierungsbegünstigung schaffen, sein Aussagegehalt beschränkt sich demgegenüber wohl in einer bloßen Einschränkung des Satzes 1 – und zwar in dem Sinne, dass eine außerhäusliche Betätigung bei dauerhafter Nichtverfügbarkeit eines anderweitigen Arbeitsplatzes nicht als steuerschädlich anzusehen ist (solange an dem jeweils zum Ansatz gebrachten Kalendertag zumindest tageszeitweise im häuslichen Bereich gearbeitet wird).