Leitsatz
Mit der für die Betriebsaufspaltung entwickelten Personengruppentheorie lässt sich eine wesentliche Beteiligung an einem Unternehmen i.S.d. § 74 Abs. 2 Satz 1 AO durch Zusammenrechnung der von mehreren Familienmitgliedern gehaltenen Anteile nicht begründen.
Normenkette
§ 74 AO
Sachverhalt
Der Kläger war als Kommanditist zu 13,125 % an einer KG und als Gesellschafter an einer GmbH unmittelbar zu 2,92 % und mittelbar zu 12 % (insgesamt zu 14,92 %) beteiligt. Weitere Kommanditisten der KG und Gesellschafter der GmbH waren mehrere, zum weiteren Familienkreis des Firmengründers gehörende Angehörige. Der GmbH hatte die KG im Wege einer Betriebsaufspaltung Teile ihres Betriebsvermögens, und zwar diverse Grundstücke und Gegenstände (Betriebs- und Geschäftsausstattung) verpachtet.
Seit Anfang der 1980er Jahre waren die KG und die GmbH mit dem FA einvernehmlich davon ausgegangen, zwischen der KG als Organträgerin und der GmbH als Organgesellschaft bestehe umsatzsteuerrechtlich eine Organschaft. Dementsprechend hatte die KG Steuererklärungen und Steueranmeldungen einschließlich der Umsätze der GmbH unter ihrer Steuernummer abgegeben.
Später machte die KG gegenüber dem FA geltend, die Voraussetzungen für eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft lägen ab März 2009 nicht mehr vor. Soweit das FA gleichwohl Umsatzsteuer für die KG unter Berücksichtigung einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft festsetzte, waren die Rechtsmittel der KG erfolgreich und führten zur Erstattung von USt.
Im Juni 2009 wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Über die Umsatzsteuer Januar bis Juni 2009 erließ das FA gegen die GmbH einen Feststellungsbescheid, der Gegenstand eines beim BFH anhängigen Revisionsverfahrens ist (V R 36/15).
Mit Haftungsbescheid vom … nahm das FA den Kläger als Gesamthandseigentümer der Grundstücke bzw. des Anlagevermögens der KG für Umsatzsteuerschulden 2006 bis 2008 der in Insolvenz befindlichen GmbH nach § 191 Abs. 1 i.V.m. § 74 AO in Anspruch. Es ging dabei davon aus, dass die Entstehung der Umsatzsteueransprüche durch die Nutzung der Grundstücke, der Gebäude und des beweglichen Anlagevermögens mitverursacht worden sei. Der Kläger allein sei zwar nicht wesentlich i.S.d. § 74 Abs. 2 Satz 1 AO an der GmbH beteiligt, es seien jedoch die Grundsätze der sog. "Personengruppentheorie" des BFH (BFH, Urteil vom 28.1.1993, IV R 39/92, BFH/NV 1993, 528 und BFH, Urteil vom 24.2.1994, IV R 8-9/93, Haufe-Index 65013, BFHE 174, 80, BStBl II 1994, 466) zur Betriebsaufspaltung anzuwenden.
Das FG urteilte, die Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 AO seien nicht erfüllt, weil der Kläger weder wesentlich an der GmbH beteiligt noch Eigentümer der dem Unternehmen überlassenen Gegenstände gewesen sei. Die vom BFH für die Fälle der Betriebsaufspaltung entwickelte Personengruppentheorie sei auf Haftungsbescheide nach § 74 AO nicht anwendbar (Niedersächsisches FG, Urteil vom 30.6.2014, 14 K 101/13, Haufe-Index 7220073, EFG 2014, 1550).
Entscheidung
Aus den in den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen hat der BFH die Revision des FA zurückgewiesen. Die Voraussetzungen einer wesentlichen Beteiligung des Klägers i.S.d. § 74 Abs. 2 Satz 2 AO ließen sich nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG nicht bejahen.
Hinweis
Die Haftung des Eigentümers mit ihm gehörenden Gegenständen, die er einem Unternehmen zur Verfügung gestellt hat und die diesem dienen, für die Steuern des Unternehmens hat nach § 74 AO mehrere Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen: Zum einen muss der Eigentümer der Gegenstände an dem Unternehmen wesentlich beteiligt sein, d.h. durch eine Beteiligung von mehr als einem Viertel am Grund- oder Stammkapital oder durch einen beherrschenden Einfluss (§ 74 Abs. 2 AO); zum anderen wird nur für die Steuern des Unternehmens gehaftet, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet (insbesondere USt und GewSt) und die während der Zeit der wesentlichen Beteiligung entstanden sind; schließlich haftet der Eigentümer nur mit den Gegenständen, kann also nicht direkt auf Zahlung in Anspruch genommen werden (Vollstreckung nur in den jeweiligen Gegenstand oder ein noch im Vermögen vorhandenes Surrogat; vgl. BFH, Urteil vom 28.1.2014, VII R 34/12, BFH/NV 2014, 1114, BFHE 244, 508, BStBl II 2014, 551, BFH/PR 2014, 279; BFH, Urteil vom 22.11. 2011, VII R 63/10, BFH/NV 2012, 466, BStBl II 2012, 223, BFH/PR 2012, 130).
Liegen die Eigentums- und Beteiligungsverhältnisse etwas komplizierter, wird es schwierig, das Vorliegen dieser engen Haftungsvoraussetzungen zu bejahen. Was soll z.B. gelten, wenn der Gegenstand mehreren am Unternehmen beteiligten Personen gehört? Müssen all diese dann "wesentlich" (i.S.d. § 74 Abs. 2 AO) beteiligt sein, was bei mehr als drei Eigentümern von vornherein nicht funktionieren kann, oder darf man (und unter welchen Voraussetzungen) die Einzelbeteiligungen zusammenrechnen?
Die für Fälle der Betriebsaufspaltung entwickelte sog. Personengru...