Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
1. Steuerpflichtige mit einer entsprechenden Behinderung können für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte anstelle der Entfernungspauschalen die tatsächlichen Aufwendungen in Abzug bringen (§ 9 Abs. 2 S. 3 EStG).
2. Behinderte haben jedoch nach dem eindeutigen Wortlaut des § 9 Abs. 2 S. 3 EStG nur die Wahl, die Wegekosten entweder einheitlich nach den Entfernungspauschalen oder einheitlich nach den tatsächlichen Aufwendungen zu bemessen. Eine Kombination von Entfernungspauschale und tatsächlichen Aufwendungen bei der Bemessung der Wegekosten ist mit § 9 Abs. 2 S. 3 EStG nicht vereinbar.
Normenkette
§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 1 und 2, § 9 Abs. 2 S. 3 EStG
Sachverhalt
Die nicht selbstständig tätige Klägerin (Grad der Behinderung 90 %) machte mit der ESt-Erklärung für 2003 Wegekosten für 195 Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in B geltend. Sie fuhr mit dem Pkw von der Wohnung 17 km bis zum Bahnhof und legte die verbleibenden 82 km nach B mit der Bahn zurück. Die Aufwendungen für öffentliche Verkehrsmittel erklärte sie mit 1 682 EUR. Das FA berücksichtigte für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mittels Entfernungspauschale Werbungskosten i.H.v. 6 360 EUR (1 248 EUR [Wegekosten Pkw) + 5 112 EUR [Wegekosten öffentlicher Personennahverkehr]).
Dagegen begehrte die Klägerin, ihre Fahrten mit dem Pkw nicht mit der Entfernungspauschale (0,36/0,40 EUR je Entfernungskilometer = 1 248 EUR), sondern nach § 9 Abs. 2 S. 3 EStG mit den tatsächlichen Kosten (pauschal 0,30 EUR/gefahrenen km = 1 989 EUR) zu berücksichtigen. Ihre Klage war erfolglos (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.06.2005, 10 K 396/04, Haufe-Index 1409767, EFG 2006, 36).
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz mit den in den Praxishinweisen dargestellten Erwägungen durch Beschluss nach § 126a FGO.
Hinweis
Ähnlich wie im Urteil vom 26.03.2009, VI R 42/07 (BFH/NV 2009, 1181, BFH/PR 2009, 287) zeigt auch der hier besprochene Fall die subventionierende Wirkung der Entfernungspauschale bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel: ein tatsächlicher Aufwand von 1 682 EUR wurde steuerlich mit 5 112 EUR berücksichtigt. Das wollte die behinderte Klägerin zwar in Anspruch nehmen, aber die Kosten der Pkw-Nutzung nach tatsächlichem Aufwand abrechnen. Für diese Kombination gab es aber keine Rechtsgrundlage.
1. Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sind nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 1 und 2 EStG Werbungskosten, abgegoltenen mit der Entfernungspauschale nach § 9 Abs. 2 S. 1 EStG. Behinderte (Grad der Behinderung mindestens 70 %) können anstelle der Entfernungspauschalen die tatsächlichen Aufwendungen in Abzug bringen (§ 9 Abs. 2 S. 3 EStG). Das sind entweder die individuellen mittels der nachgewiesenen Fahrzeugaufwendungen ermittelten Kilometersätze oder ohne Einzelnachweis die pauschalierten Kilometersätze. Eine Kombination von pauschalen und individuellen Kosten steht allerdings der eindeutige Wortlaut des § 9 Abs. 2 S. 3 EStG entgegen: Wegekosten sind einheitlich entweder nach den Entfernungspauschalen oder nach den tatsächlichen Aufwendungen zu bemessen. Der BFH stützt sich dazu auf das Tatbestandsmerkmal "anstelle" in § 9 Abs. 2 S. 3 EStG und auf die Verwendung des Plurals "Entfernungspauschalen" in § 9 Abs. 2 S. 3 EStG.
2. Für eine weitere Begünstigung sah der BFH keinen Anlass. Behinderte sollen zwar die tatsächlichen Aufwendungen geltend machen können, weil sie nur eingeschränkt öffentliche Verkehrsmittel benutzen können, sodass die Rechtfertigung der teilweise nicht kostendeckenden Entfernungspauschale für diese Steuerpflichtigen nicht greift. Mehr ist aber auch aus umwelt- und verkehrspolitischen Zielen nicht erforderlich, zumal die Klägerin keine steuerliche Entlastung für mit der Bahn zurückgelegte Wegestrecken begehrte, sondern Aufwendungen für die Pkw-Nutzung; das entspricht offensichtlich nicht umwelt- und verkehrspolitischen Vorstellungen.
3. Auch die Entscheidungen zur 0,03 %-Zuschlagsregelung (BFH, Urteile vom 04.04.2008, VI R 85/04, BFH/NV 2008, 1237, BFH/PR 2008, 377; VI R 68/05, BFH/NV 2008, 1240, BFH/PR 2008, 376) konnten kein anderes Ergebnis rechtfertigen. Denn es ging nicht um eine teilstreckenbezogene Betrachtungsweise, sondern darum, ob die Klägerin ihr Wahlrecht – Entfernungspauschale oder tatsächliche Kosten – für beide zurückgelegten Teilstrecken differenzierend ausüben kann. Dazu gaben die mit einem Nichtanwendungserlass (BStBl I 2008, 961) belegten Entscheidungen des BFH keine Grundlage.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 05.05.2009 – VI R 77/06