Leitsatz
Der Anspruch auf Prozesszinsen nach § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 setzt voraus, dass der erledigte Rechtsstreit ursächlich für die Herabsetzung der Steuer war.
Normenkette
§ 236 Abs. 1 und 2 Nr. 1 AO
Sachverhalt
Die Kläger wendeten sich mit ihrer Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1989. Sie machten geltend, dass das FA zu Unrecht die dem Kläger durch seine atypische stille Beteiligung am Unternehmen der X-GmbH entstandenen Verlust nicht anerkannt habe. Das FA berief sich demgegenüber auf einen für die X-GmbH & atypisch Still ergangenen negativen Gewinnfeststellungsbescheid, in dem der Kläger wegen fehlender Gewinnerzielungsabsicht nicht als Mitunternehmer angesehen wurde. Im anschließenden Rechtsbehelfsverfahren gegen den negativen Gewinnfeststellungsbescheid revidierte das FA seine Ansicht, erkannte den Verlust des Klägers aus seiner atypisch stillen Beteiligung an und erließ einen entsprechend geänderten Feststellungsbescheid für die X-GmbH & atypisch Still.
Nachdem das FA den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1989 gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO entsprechend angepasst und damit dem Begehren der Kläger entsprochen hatte, erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt. Das FG stellte das Verfahren ein und legte den Klägern die Verfahrenskosten auf.
Den hier streitigen Antrag der Kläger auf Erstattung von Prozesszinsen wegen Einkommensteuer 1989 lehnte das FA ab. Das FG wies die dagegen gerichtete Klage ab (EFG 2001, 1410). Der BFH bestätigte die Vorentscheidung.
Entscheidung
Der hier einschlägige § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO enthalte eine Rechtsgrundverweisung auf § 236 Abs. 1 AO. Die letztgenannte Vorschrift setze für die Begründetheit des Zinsanspruchs voraus, dass der Rechtsstreit ursächlich für die Herabsetzung der Steuerschuld gewesen sei. Entsprechendes müsse auch für die Fälle des § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO gelten.
Danach habe das FG zu Recht den von den Klägern geltend gemachten Zinsanspruch verneint. Die Erhebung der Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1989 sei für die vom FA vorgenommene Einkommensteuerherabsetzung nicht kausal geworden. Zu einer solchen Herabsetzung sei es nämlich unabhängig von diesem Prozess allein deshalb gekommen, weil das FA zu einer Anpassung des Einkommensteuerbescheids (Folgebescheids) an den geänderten Feststellungsbescheid für die X-GmbH & atypisch Still (Grundlagenbescheid) gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO verpflichtet gewesen sei.
Hinweis
Nach § 236 Abs. 1 Satz 1 AO hat der Steuerpflichtige einen Anspruch auf Prozesszinsen bei einer Steuererstattung, wenn durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder aufgrund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt wird. Die Vorschrift verlangt schon von ihrem eindeutigen Wortlaut her eine Ursächlichkeit (Kausalität) des Prozesses für die Steuerminderung. Wäre es demgemäß auch ohne Klage (den Prozess) zu einer Herabsetzung der Steuer gekommen, kann also der Prozess hinweggedacht werden, ohne dass der "Erfolg" – die Steuerherabsetzung – entfiele, ist der Anspruch auf Prozesszinsen unbegründet.
Das Besprechungsurteil weist zu Recht darauf hin, dass dieses Kausalitätserfordernis auch in den Fällen des § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO, also dann gilt, wenn "sich der Rechtsstreit durch Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts oder Erlass des beantragten Verwaltungsakts erledigt". Denn § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO, der die entsprechende Anwendung des § 236 Abs. 1 AO anordnet, enthält nicht nur eine sog. Rechtsfolgenverweisung, sondern eine Rechtsgrundverweisung. Im vorliegenden Fall war eine solche Kausalität nicht gegeben. Die Kläger erreichten die von ihnen erstrebte Steuerherabsetzung unabhängig davon, dass sie den Einkommensteuerbescheid mit der Klage angefochten hatten, allein dadurch, dass das FA nach Änderung eines Grundlagenbescheids gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO verpflichtet war, den Einkommensteuerbescheid (Folgebescheid) zu korrigieren und die Steuer herabzusetzen. Eine Anfechtung des Einkommensteuerbescheids, deren Erfolg § 351 Abs. 2 AO entgegenstand, war somit überflüssig und nutzlos.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 15.10.2003, X R 48/01