Leitsatz
Nach Insolvenzeröffnung entstandene Kfz-Steuer ist eine Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn das Fahrzeug, für dessen Halten die Kfz-Steuer geschuldet wird, Teil der Insolvenzmasse ist. Die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Insolvenzschuldners nach § 35 Abs. 2 InsO durch den Insolvenzverwalter ist für die Beurteilung der Kfz-Steuer als Masseverbindlichkeit oder insolvenzfreie Verbindlichkeit ohne Bedeutung.
Normenkette
§§ 33, 34 AO, § 35 Abs. 1 und 2, § 36, § 55 Abs. 1 Nr. 1, § 80 InsO, § 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG, § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO
Sachverhalt
Über das Vermögen der Schuldnerin wurde im Jahr 2008 das Insolvenzverfahren eröffnet. Zum Insolvenzverwalter wurde der Kläger bestellt, der in der Folgezeit gegenüber der Schuldnerin eine Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 InsO abgab. Das FA folgte nicht der Auffassung des Klägers, das Fahrzeug sei mit der Freigabeerklärung aus dem Massebeschlag entlassen worden und setzte gegen den Kläger Kfz-Steuer für die Zeit ab Insolvenzeröffnung fest. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg (FG Düsseldorf, Urteil vom 28.1.2010, 8 K 236/09 Verk, Haufe-Index 2590230, EFG 2011, 570).
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung aus den in den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen auf und verwies die Sache an das FG zurück. Dieses hat zu prüfen, ob das Fahrzeug wegen Unpfändbarkeit insolvenzfrei oder aber vom Insolvenzverwalter im Wege einer echten Freigabe aus der Insolvenzmasse ausgeschieden war.
Hinweis
Dieses Urteil präzisiert die Anforderungen an die Kraftsteuerpflicht im Insolvenzverfahren, sofern der Insolvenzverwalter ein Fahrzeug aus der Insolvenzmasse freigegeben hat.
1. In seinem Grundsatzurteil vom 13.4.2011 (II R 49/09, BFH/NV 2011, 1971, BFH/PR 2011, 464) hat der BFH entschieden, dass nach Insolvenzeröffnung entstandene Kfz-Steuer eine Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist, wenn das betreffende Fahrzeug einen Teil der Insolvenzmasse bildet. Die frühere Rechtsprechung des BFH, wonach die Rechtsposition als Halter des Kfz zur Insolvenzmasse gehört und damit das Vorliegen einer Masseverbindlichkeit begründet, ist ausdrücklich aufgegeben worden.
2. Diese neue Rechtsprechungslinie führt der BFH nunmehr auch für den Fall fort, dass der Insolvenzverwalter ein Fahrzeug aus der Insolvenzmasse freigegeben hat. Nach früherer BFH-Rechtsprechung (BFH, Urteil vom 16.10.2007, IX R 25/07, BFH/NV 2008, 250) konnte diese Freigabeerklärung am unwiderlegbar vermuteten Halten des Fahrzeugs durch den Schuldner nichts ändern. Die nach Insolvenzeröffnung entstandene Kfz-Steuer war daher so lange Masseverbindlichkeit, wie das Fahrzeug noch auf den Schuldner zugelassen war. Auch diese Rechtsprechung hat der BFH jetzt aufgegeben. Nunmehr ist für die Kfz-Steuerpflicht entscheidend, ob das Fahrzeug Teil der Insolvenzmasse ist.
Hiervon ausgehend ist die Kfz-Steuer unproblematisch keine Masseverbindlichkeit, wenn der Insolvenzverwalter das Fahrzeug im Wege einer sog. echten Freigabe endgültig aus der Insolvenzmasse entlassen hat.
Die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners nach § 35 Abs. 2 InsO hat hingegen grundsätzlich keine Auswirkungen auf die Massezugehörigkeit eines bei Insolvenzeröffnung vorhandenen Fahrzeugs. Da sich diese Freigabeerklärung nicht auf das im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung vorhandene Vermögen erstreckt, bleibt die nach Insolvenzeröffnung entstandene Kfz-Steuer grundsätzlich eine Masseverbindlichkeit. Die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit kann auch nicht im Sinne einer echten Freigabe ausgelegt werden.
Allerdings kann bei einer Freigabe der selbstständigen Tätigkeit nach § 35 Abs. 2 InsO die Kfz-Steuer nur dann Masseverbindlichkeit sein, wenn das Fahrzeug auch zur Insolvenzmasse gehört. Daran fehlt es – und dies wird häufig der Fall sein –, wenn das Fahrzeug gem. § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPOpfändungsfrei ist. Ein solches pfändungsfreies Fahrzeug ist gem. § 36 InsO insolvenzfrei.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 8.9.2011 – II R 54/10