Leitsatz
Ein aufgrund eines Gendefekts behindertes Kind kann gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG nur dann berücksichtigt werden, wenn die feststellbaren Funktions- und Teilhabebeeinträchtigungen bereits vor Erreichen der Altersgrenze von 25 Jahren (vormals 27 Jahren) eingetreten waren.
Sachverhalt
Die im Jahr 1968 geborene Tochter des Klägers leidet an einer erblichen Muskelerkrankung. Im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme wurde ihr die Stellung eines Rentenantrags empfohlen, infolgedessen ihr durch Bescheid vom 22.8.2012 rückwirkend ab 1.10.2011 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt wurde. Den Antrag auf Gewährung von Kindergeld ab Januar 2010 lehnte die Familienkasse mit der Begründung ab, dass die Behinderung der Tochter nicht, wie von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG gefordert, vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten sei. Den Einspruch des Klägers wies die Familienkasse als unbegründet zurück, weil die Behinderung bei der Tochter des Klägers wesentlich später als mit 27 Jahren eingetreten sei. Zwar sei sie mit einem Gendefekt geboren, dieser habe aber erst wesentlich später zu einer stärkeren Behinderung geführt. Mit seiner Klage begehrt der Kläger weiter die Gewährung von Kindergeld für Zeiträume nach Vollendung des 27. Lebensjahres der Tochter.
Entscheidung
Das FG hat die Klage als unbegründet zurückgewiesen. Dafür, dass eine Behinderung der Tochter vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten sei, trage der Kläger die Feststellungslast. Da eine ärztliche Bescheinigung nicht mehr vorgelegt werden konnte, hat der Kläger mehrere Zeugen aus dem Umfeld seiner Tochter benannt, die das FG neben der Tochter selbst im Rahmen der mündlichen Verhandlung vernommen hat. Hiernach hat das FG zwar die Überzeugung gewonnen, dass bei der Tochter des Klägers bereits vor Vollendung des 27. Lebensjahres Funktionsstörungen eingetreten seien, die von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen. Es habe aber nicht feststellen können, dass die Gesundheitsbeeinträchtigung nach Breite, Tiefe und Dauer schon in dieser Zeit so intensiv waren, dass sie die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt habe. Unter Würdigung aller im Verfahren gewonnenen Erkenntnisse hat das FG die Auffassung vertreten, dass nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden könne, dass die Gesundheitsbeeinträchtigungen, welche die Voraussetzung für die Gewährung des Kindergeldes darstellen, bereits vor der Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten seien.
Hinweis
Mit Urteil vom 12.2.2017 hatte das FG in erster Instanz der Klage stattgegeben. Aufgrund der gegen dieses Urteil eingelegten Revision hat der BFH, Urteil v. 27.11.2019, III R 44/17, das Urteil des FG aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen, da nicht ausreichend festgestellt worden sei, dass die Behinderung der Tochter vor Vollendung ihres 27. Lebensjahres eingetreten sei. Hierfür müsse der Gendefekt nämlich bereits vor Erreichen der Altersgrenze zu einer dauerhaften, gravierenden Funktionsbeeinträchtigung geführt haben, der die Teilhabe der Tochter am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt habe.
Link zur Entscheidung
FG Köln, Urteil v. 15.03.2021, 6 K 889/15