Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 1230
Schein- oder missbräuchliche Geschäfte sind nicht als solche strafbar, sondern nur dann, wenn über sie falsche oder unvollständige Angaben gemacht bzw. wenn sie pflichtwidrig verschwiegen werden und dadurch ein Hinterziehungserfolg eintritt. Gemacht werden müssen die tatsächlichen Angaben, die für die rechtliche Beurteilung des Falles zumindest potentiell von Bedeutung sind, also auch diejenigen, die bspw. für eine Umgehung sprechen (s. dazu Rz. 244).
Beispiel
nach BFH: A errichtet eine Wohnung und vermietet sie an eine GmbH, die die Wohnung anschließend zu Wohnzwecken weitervermietet. A behandelt seine Umsätze aus der Vermietung der Wohnung an die GmbH als steuerpflichtig und kann damit die Umsatzsteuer, die ihm die GmbH in Rechnung stellt, als Vorsteuer abziehen. Nach einer Außenprüfung sieht das FA die Gestaltung als missbräuchlich an, weil das Mietverhältnis mit der GmbH nur eingegangen worden sei, damit A seine Vorsteuern geltend machen kann.
Der BFH verneinte zu Recht eine Steuerhinterziehung. A hatte dem FA die Zwischenvermietung und die maßgeblichen Gründe hierfür mitgeteilt. Für den Stpfl. kann es aber schwierig sein, im Voraus zu erkennen, welche einzelnen Sachverhaltselemente von den FinB als für ihre Beurteilung bedeutsam angesehen werden und daher mitgeteilt werden müssen, um eine Strafbarkeit auszuschließen (s. Rz. 244 f.).
Grundgedanke der §§ 41, 42 AO ist es, dass für die Besteuerung nicht der äußere Rechtsschein, sondern die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse entscheidend sind. Nach § 41 Abs. 1 Satz 1 AO ist es für die Besteuerung unerheblich, wenn ein Rechtsgeschäft unwirksam ist oder wird, solange die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis dieses Rechtsgeschäfts trotzdem eintreten und bestehen lassen. Das gilt nach Satz 2 nur dann nicht, wenn sich aus den Steuergesetzen etwas anderes ergibt.
Rz. 1230a
Der in § 41 Abs. 1 Satz 1 AO angeordneten Maßgeblichkeit des tatsächlichen Vollzugs bei formunwirksamem Rechtsgeschäft ist deshalb auch bei der Konkretisierung des § 39 AO Rechnung zu tragen, so dass die Formunwirksamkeit einer Treuhandabrede einer Zurechnung nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO jedenfalls dann nicht entgegensteht, wenn nach dem Inhalt der formunwirksamen Abrede der Treugeber alle wesentlichen Rechte (Vermögensrechte und Verwaltungsrechte) ausüben und effektiv durchsetzen kann und die in dem formunwirksamen Vertrag getroffenen Vereinbarungen nachweislich tatsächlich durchgeführt wurden. Damit kann auch ein unwirksames Treuhandverhältnis für die Zurechnung von Wirtschaftsgütern entscheidend sein.
Der BGH formuliert im Anschluss an die Rspr. des BFH:
„Wirtschaftlicher Eigentümer eines Wirtschaftsguts ist, wer die tatsächliche Sachherrschaft über das Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, dass er den zivilrechtlichen Eigentümer im Regelfall auf Dauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann (BFH, Urt. v. 10.3.1988 – IV R 226/85, BFHE 153, 318 Rn. 11). Ausgehend hiervon ist der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums von Anteilen an Kapitalgesellschaften regelmäßig anzunehmen, wenn der Käufer aufgrund eines (bürgerlich-rechtlichen) Rechtsgeschäfts eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann, und die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen Rechte sowie das Risiko einer Wertminderung und die Chance einer Wertsteigerung auf ihn übergegangen sind (vgl. BFH, Urt. v. 2.2.2022 – I R 22/20, BFHE 276, 20 Rn. 41; v. 1.12.2020 – VIII R 21/17, BFHE 271, 482 Rn. 44; v. 5.10.2011 –IX R 57/10, BFHE 235, 376 Rn. 32; v. 4.7.2007 – VIII R 68/05 Rn. 27–31, BFHE 218, 299 unter II. 2. a. und v. 11.7.2006 – BFH VIII R 32/04 Rn. 20–24, BFHE 214, 326 unter II. 3.; jew. mwN).
Entscheidend ist das Gesamtbild der Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall. Eine von der zivilrechtlichen Inhaberstellung abweichende Zuordnung eines Wirtschaftsguts kann dabei auch dann anzunehmen sein, wenn die vorstehend genannten Voraussetzungen nicht in vollem Umfang erfüllt sind. Ausschlaggebend ist nicht das formal Erklärte oder formal-rechtlich Vereinbarte, sondern das wirtschaftlich Gewollte und das tatsächlich Bewirkte (vgl. BFH, Urt. v. 5.10.2011 – IX R 57/10, BFHE 235, 376 Rn. 33; v. 4.7.2007 – VIII R 68/05 Rn. 32, BFHE 218, 299 und v. 11.7.2006 – BFH VIII R 32/04 Rn. 25 BFHE 214, 326 unter II. 3.; jew. mwN). So kann selbst dann, wenn das Kausalgeschäft – etwa weil die Formvorschriften der § 15 Abs. 4 GmbHG (s. § 125 BGB) nicht beachtet wurden – formunwirksam ist, wirtschaftliches Eigentum an Kapitalgesellschaftsanteilen erworben werden, wenn einander nicht nahestehende Vertragsparteien die im formunwirksamen schuldrechtlichen Vertrag getroffenen Vereinbarungen tatsächlich durchführen (vgl. BFH, Urt. v. 20.9.2022 – BFH IX R 18/21 Rn. 27; v. 24.1.2012 – IX R 69/10 Rn. 29, 34; v. 22.7.2008 – IX R 61/05 Rn. 24 und v. 17.2.2004 – VIII R 26/01 Rn. ...