Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 699
Die maßgebliche Grenze zwischen strafloser Vorbereitung der Tat und Beginn des strafbaren Versuchs bildet nach § 22 StGB das unmittelbare Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung. Das Geschehen muss also schon so weit fortgeschritten sein, dass die Verwirklichung des Tatbestands nahegerückt ist und alsbald bevorsteht. Das setzt allerdings nicht voraus, dass die Tatbestandsverwirklichung tatsächlich unmittelbar bevorsteht; es muss keine wirkliche Gefahr für das Rechtsgut entstehen, sondern entscheidend ist, ob der Täter nach seiner Vorstellung unmittelbar zur Tat ansetzt (s. auch Rz. 692 zum untauglichen Versuch).
Rz. 700
Als weitgehend unproblematisch wird die Abgrenzung zwischen Versuch und Vorbereitung dann angesehen, wenn der Täter bereits mit der tatbestandlichen Ausführungshandlung selbst begonnen hat, also bspw. beim Diebstahl nach § 242 StGB mit dem Wegnehmen der fremden Sache (s. Rz. 701). Zwingend notwendig ist die Vornahme dieser Handlung aber nicht, um ein unmittelbares Ansetzen annehmen zu können. Für im Vorfeld der jeweiligen tatbestandlichen Ausführungshandlung liegende Handlungen wird ein Überschreiten der Grenze zum strafbaren Versuch dann bejaht, wenn Handlungen vorliegen, die nach dem Gesamtplan des Täters so eng mit der eigentlichen Tathandlung verknüpft sind, dass sie bei ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Verwirklichung des Tatbestands führen sollen oder in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen; entscheidend ist also, dass das Geschehen nach der Vorstellung des Täters ohne Zäsur und ohne weitere wesentliche Zwischenakte in die eigentliche Tatbestandshandlung einmünden soll, so dass das geschützte Rechtsgut aus Sicht des Täters bereits konkret gefährdet ist. Dabei liegt es auf der Hand, dass im Einzelfall problematisch sein kann, ob ein hinreichend enger Zusammenhang zur eigentlichen Tatbestandsverwirklichung schon gegeben ist oder noch nicht, insb. wenn ein Straftatbestand keine bestimmte Ausführungshandlung voraussetzt. Der Versuchsbeginn kann deshalb bei verschiedenen Tatbeständen unterschiedlich zu beurteilen sein.
a) Unmittelbares Ansetzen bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO
aa) Handlungen vor Abgabe falscher oder unvollständiger Erklärungen
Rz. 701
Aus den soeben genannten Abgrenzungskriterien (s. Rz. 700) folgt, dass bei der Steuerhinterziehung durch positives Tun in Bezug auf Veranlagungssteuern (s. Rz. 400) das Versuchsstadium frühestens (s. Rz. 707) dann erreicht ist, wenn eine Steuererklärung mit unrichtigen oder unvollständigen Angaben bei der zuständigen FinB eingereicht wird. Es muss sich aber nicht notwendig um förmliche Steuererklärungen handeln, auch sonstige Angaben, Anzeigen, Mitteilungen und Antworten auf Auskunftsersuchen, die dem FA gegenüber gemacht werden, können die Versuchsstrafbarkeit begründen. Das Gleiche gilt für den auf die Erlangung eines Steuervorteils gerichteten Versuch (s. dazu Rz. 424 ff.). Sollen in Bezug auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben (s. Rz. 704, 707), die auch Veranlagungssteuern sind (Art. 101 Abs. 1 UZK; s. auch Rz. 400), an der Grenze bzw. bei der Zollabfertigungsstelle falsche Angaben in der Eingangs- oder Zollanmeldung (Art. 127, 162 ff. UZK) gemacht werden, kann der Versuch dementsprechend nicht schon dann beginnen, wenn sich der Täter der Grenze nähert, sondern erst mit dem Beginn, die unrichtigen Angaben zu machen.
Rz. 702
Bei den Anmeldesteuern (Fälligkeitssteuern), bei denen der Stpfl. die Steuer selbst zu berechnen hat und bei denen die Steueranmeldung (§ 150 Abs. 1 Satz 2 AO) der Festsetzung der Steuer unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht (§ 168 Satz 1 AO), tritt mit dem Eingang der Steueranmeldung bei der FinB schon die Vollendung der Tat ein; nur in den Fällen des Satz 2 ist die Zustimmung der FinB erforderlich (s. Rz. 408 f.). Unmittelbares Ansetzen zur Tat nach § 168 Satz 1 AO liegt deshalb schon mit der dem Eingang unmittelbar vorgelagerten Handlung vor, durch die die Anmeldung der FinB zugänglich gemacht werden soll. Auch hier reicht eine unrichtige Buchführung oder das Erstellen falscher Belege wie bei den Veranlagungssteuern aber nicht aus (s. Rz. 703).
Beispiel
Der Stpfl. steht vor dem Gebäude der FinB und hebt die Hand, um seine falsche Umsatzsteuervoranmeldung in den Briefkasten des FA zu werfe...