Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 1234
"Strohmann"-Firmen sind trotz dieser Eigenschaft Leistende i.S.d. Umsatzsteuergesetzes (s. Rz. 1390 f.). Während bei einer offenen Vertretung der Leistungsempfänger die Vertretereigenschaft des Handelnden kennt und deshalb weiß, dass dieser nicht Leistender ist, wird diese Eigenschaft bei "Strohmann"-Geschäften verdeckt, weil der Geschäftsherr im Hintergrund unerkannt bleiben will. Voraussetzung für die Annahme der Unternehmereigenschaft des Strohmanns ist es, dass dieser nach den zivilrechtlichen Vereinbarungen als Leistender anzusehen ist und durch die Leistungserbringung eigene Verpflichtungen erfüllt; die Rechtswirkungen des Geschäfts treten also zwischen Strohmann und Leistungsempfänger ein:
„Wer bei einem Umsatz als Leistender anzusehen ist, ergibt sich regelmäßig aus den abgeschlossenen zivilrechtlichen Vereinbarungen. Leistender ist in der Regel derjenige, der die Lieferungen oder sonstigen Leistungen im eigenen Namen gegenüber einem anderen selbst oder durch einen Beauftragten ausführt (st. Rspr. des BFH, vgl. nur BFH, Beschl. v. 31.1.2002 – V B 108/01, BFHE 198, 208).
Auch ein ‚Strohmann‘, der nach außen im eigenen Namen auftritt, im Verhältnis zum ‚Hintermann‘ jedoch auf dessen Rechnung handelt, kann daher leistender Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuergesetzes sein (vgl. BFH aaO; BFH, Urt. v. 10.11.2010 – XI R15/09, wistra 2011, 237 mwN). Dementsprechend können dem ‚Strohmann‘ auch solche Leistungen zuzurechnen sein, die der ‚Hintermann‘ berechtigterweise im Namen des Strohmannes tatsächlich ausgeführt hat (vgl. BFH, Urt. v. 10.11.2010 – XI R 15/09, wistra 2011, 237 mwN).
‚Vorgeschobene‘ Strohmanngeschäfte zwischen einem ‚Strohmann‘ und dem Leistungsempfänger sind hingegen dann umsatzsteuerrechtlich (wie auch zivilrechtlich) unbeachtlich, wenn sie nur zum Schein (vgl. § 41 Abs. 2 AO) abgeschlossen sind, mithin die Vertragsparteien – der ‚Strohmann‘ und der Leistungsempfänger – einverständlich oder stillschweigend davon ausgehen, dass die Rechtswirkungen des Geschäfts gerade nicht zwischen ihnen, sondern zwischen dem Leistungsempfänger und dem ‚Hintermann‘ eintreten sollen (zu den Maßstäben vgl. BGH, Urt. v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, wistra 2013, 314; BFH, Urt. v. 10.11.2010 – XI R 15/09, wistra 2011, 237; BFH, Beschl. v. 31.1.2002 – V B 108/01, BFHE 198, 208; vgl. auch BGH, Urt. v. 22.5.2003 – 5 StR 520/02, BGHR UStG § 2 Unternehmer 4)”.
Liefern daher Mittelsmänner auf Rechnung eines Dritten, aber im eigenen Namen an die Erwerber, die davon ausgehen, mit den Mittelsmännern rechtsgeschäftliche Beziehungen zu begründen, liegen sowohl Lieferungen des Dritten an die Mittelsmänner als Kommissionäre als auch Lieferungen der Mittelsmänner an die Erwerber vor.
"Dass die Person, die in eigenem Namen handelt, nicht auch auf eigene, sondern auf fremde Rechnung tätig ist, ist für die Zurechnung des Umsatzes an die in eigenem Namen handelnde Person ohne Bedeutung (vgl. BFH v. 12.5.2011 – V R 25/10, DStRE 2011, 1326 Rn. 17 ff. und v. 16.12.2020 – XI R 13/19, BFHE 272, 185, BStBl. II 2022, 389, DStR 2021, 1101 Rn. 32). Das Handeln auf fremde Rechnung führt zu einem weiteren fiktiven Umsatz und damit zu einer Umsatzverdoppelung, so dass der Kommittent an den Kommissionär und dieser an den Endkunden liefert oder leistet".
Haben im Rahmen einer betrügerischen Umsatzsteuerkette als Missing Trader eingesetzte Gesellschaften nur eine Strohmannfunktion, während tatsächlich ein anderes Unternehmen hinter den Verkäufen steht, handelt es sich nicht um ein Scheingeschäft, wenn dritte Personen davon ausgehen, dass die Rechtswirkungen der Geschäfte zwischen ihnen und den verkaufenden Gesellschaften eintreten; dann ist leistender Unternehmer i.S.d. Umsatzsteuergesetzes der jeweilige Missing Trader.
Entscheidend ist, dass der Strohmann aus dem der Leistung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis berechtigt und verpflichtet wird. Der Einordnung als Leistender steht es deshalb nicht entgegen, dass vom Strohmann im Innenverhältnis die Weisungen des Auftraggebers zu befolgen sind, der Strohmann zuvor kein Eigentum an den Liefergegenständen erworben hat oder dass ihm der wirtschaftliche Erfolg seiner Tätigkeit letztlich nicht verbleibt; es reicht aus, dass der Strohmann den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über den Liefergegenstand zu verfügen.