Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 1401
Unter Bezugnahme auf die EuGH-Urteile vom 12.1.2006 und vom 6.7.2006 entschied der BFH mit Urteil vom 19.4.2007 zur Frage nach dem Recht auf Vorsteuerabzug, wenn die Vor-Vorlieferanten des Unternehmers zum Zweck der Umsatzsteuerhinterziehung gegründet worden sind und auch die unmittelbaren Vorlieferanten des Unternehmers in den Plan eingebunden waren, wie folgt: Umsätze, die nicht selbst mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet sind, sind Lieferungen von Gegenständen, die ein Stpfl. als solcher ausführt, und eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der 6. Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (RL 77/388/EWG), wenn sie die objektiven Kriterien erfüllen, auf denen diese Begriffe beruhen, ohne dass es auf die Absicht eines von dem betroffenen Stpfl. verschiedenen, an derselben Lieferkette beteiligten Händlers und/oder den möglicherweise betrügerischen Zweck – den dieser Stpfl. weder kannte noch kennen konnte – eines anderen Umsatzes ankommt, der Teil dieser Kette ist und der dem Umsatz, den der betreffende Stpfl. getätigt hat, vorausgeht oder nachfolgt. Die objektiven Kriterien, auf denen der Begriff der Lieferung von Gegenständen, die ein Stpfl. als solcher ausführt, und der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit beruhen, sind dagegen nicht erfüllt, wenn der Stpfl. selbst eine Steuerhinterziehung begeht. Allein der Umstand, "dass eine Lieferung an einen Stpfl. vorgenommen wird, der weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in einen vom Verkäufer begangenen Betrug einbezogen war", steht dem Vorsteuerabzug jedoch nicht entgegen. Wirtschaftsteilnehmer, die alle Maßnahmen treffen, die vernünftigerweise von ihnen verlangt werden können, um sicherzustellen, dass ihre Umsätze nicht in einen Betrug – sei es eine Mehrwertsteuerhinterziehung oder ein sonstiger Betrug – einbezogen sind, können auf die Rechtmäßigkeit dieser Umsätze vertrauen, ohne Gefahr zu laufen, ihr Recht auf Vorsteuerabzug zu verlieren. Selbst wenn der Umsatz den objektiven Kriterien einer Lieferung genügt (Verschaffung der Verfügungsmacht an den betreffenden Gegenständen, vgl. Art. 5 Abs. 1 RL 77/388/EWG, § 3 Abs. 1 UStG) und die Tätigkeit als wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Richtlinie 77/388/EWG zu beurteilen wäre, ist der Vorsteuerabzug jedoch zu versagen, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Stpfl. wusste oder wissen konnte bzw. hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war.
Rz. 1401.1
Das Vorliegen der Voraussetzungen eines Missbrauchs des Rechts auf Vorsteuerabzug ist nach Maßgabe der Beweisregeln des nationalen Rechts festzustellen. Ob der Unternehmer im Einzelfall wissen konnte bzw. hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war, ist im Wesentlichen tatsächliche Würdigung, die allein dem FG obliegt. Bei der Klärung der Frage, ob der Unternehmer in den Tatplan eingeweiht war oder den auf Umsatzsteuerhinterziehung angelegten Zweck der Lieferkette kannte oder hätte kennen müssen, werden die Gerichte bei ihrer Beweiswürdigung berücksichtigen müssen, ob der jeweilige Unternehmer Maßnahmen unterlassen hat, die er vernünftigerweise treffen musste, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht in einen Betrug – sei es eine Mehrwertsteuerhinterziehung oder ein sonstiger Betrug – einbezogen sind; in diesem Zusammenhang kann bspw. im Handel mit Mobiltelefonen die Aufzeichnung der IMEI-Nummer von Bedeutung sein, selbst wenn diese nicht bereits zu den handelsüblichen Angaben auf der Rechnung oder zu den die Rechnung und den Lieferschein ergänzenden Unterlagen i.S.d. § 14 UStG gehört. Nach einer teilweise im Schrifttum vertretenen Ansicht spricht wegen der Bedeutung der IMEI-Nummer einiges dafür, dass die Aufzeichnung der IMEI-Nummer in diesen Fällen jedenfalls zu den die Rechnung ergänzenden Unterlagen gehört.
Rz. 1401.2
Was im Übrigen die Beweisregeln des nationalen Rechts anbelangt, so ist zu berücksichtigen, dass nach st. Rspr. des BFH in tatsächlicher Hinsicht der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer die Feststellungslast dafür trägt, dass die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG erfüllt sind. Demzufolge ist es seine Sache, entscheidungserhebliche Tatsachen im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht beizubringen, bei der auch die Beweisnähe zu berücksichtigen ist. Das gilt auch, soweit es um die Frage geht, ob der Unternehmer vom Tatplan eines Vor- oder Nachlieferanten wusste oder diesen zumindest kennen konnte. Die Schwierigkeit eines Negativbeweises ändert die Verteilung der Beweislast aus Sicht des BFH grds. nicht. Denn denjenigen, der sich auf das Nichtvorliegen von Tatsachen oder Umständen beruft, kann die Feststellungslast ohnehin nur treffen, ...