Rz. 471

[Autor/Stand] Der Steuerstrafverteidiger wird sich meist auch mit einem steuerlichen Verfahren konfrontiert sehen. Im Steuerverfahren hat man nach bisher h.M. keinen Akteneinsichtsanspruch.[2] Anders als § 29 VwVfG sieht § 91 AO ein solches Recht nicht vor, es soll aber bei Beraterwechsel gewährt werden (AEAO Nr. 4 zu § 91). Im Übrigen darf das FA nach pflichtgemäßem Ermessen kostenfrei[3] Akteneinsicht gewähren,[4] z.B. auch als einen alternativen/ergänzenden Weg den vom Stpfl. gestellten Antrag auf Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen (Pflichtauskunft nach § 364 AO) zu bearbeiten (vgl. AEAO zu § 364). Die Verwaltung verweigert die Akteneinsicht allerdings regelmäßig, was Seer[5] als rechtsstaatswidrig kritisiert. Zwar könnte man bei verweigerter Akteneinsicht eine neue Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen erstreiten. Selbst bei einem obsiegenden Entscheid wird in der neuen Ermessensentscheidung die Akteneinsicht erneut verweigert, dies aber besser begründet. Zum Sonderfall der Akteneinsicht nach Falschbezichtigung vgl. § 397 Rz. 57 ff.

Diese hergebrachte Sichtweise könnte künftig allerdings aufgebrochen werden. Dies datenschutzrechtlich, zumal bereits das BVerfG mit Blick auf das Recht der informationellen Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) die Schaffung eines Auskunftsanspruchs gefordert hatte.[6] Mit Art. 1315 DSGVO wurden entsprechende Informationspflichten der Behörden und Auskunftsrechte der Betroffenen geschaffen, laut denen der betroffenen Bürger grds. über die hinsichtlich seiner Person gespeicherten Daten zu informieren ist. Diese Transparenz wird zwar durch §§ 32a ff. AO[7] wieder eingegrenzt, doch ist zu hoffen, dass die Rspr. es dem FG Saarland[8] gleichtut und im Rahmen der notwendigen Abwägung dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sowie dem Grundanliegen der DSGVO nach Datentransparenz künftig mehr Rechnung trägt.[9] Darüber hinaus besteht im Bereich des Unionsrechts, also insb. hinsichtlich der Umsatzsteuer, ein aus dem Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte abzuleitendes Akteneinsichtsrecht.[10]

 

Rz. 472

[Autor/Stand] Einen sicheren Weg zur Akteneinsicht bietet das FG-Verfahren. Der Gang zum FG setzt allerdings voraus, dass man einen Verwaltungsakt/Steuerbescheid erhalten hat, gegen den man vorgehen kann; der Verwaltungsakt verweigerter Akteneinsicht genügt allerdings nicht.[12] Im Fall eines Steuerbescheids wird man einen nicht begründungspflichtigen Einspruch einlegen, dieser hält den Steuerbescheid insgesamt offen (§§ 347 ff. AO). Um dem Bescheid auch die durch Einspruch nicht entfallende Vollstreckbarkeit zu nehmen, muss Aussetzung der Vollziehung (AdV) beantragt werden (§ 361 AO, § 69 FGO). Auch insoweit ist eine Begründung nicht zwingend. Parallel kann ein AdV-Antrag beim FG gestellt werden. Auch der AdV-Antrag beim FG bedarf keiner Begründung.

 

Rz. 473

[Autor/Stand] Der AdV-Antrag an das Gericht kann zum Zwecke seiner Begründung mit einem Antrag auf Beiziehung (§ 86 AO) von und Einsichtnahme (§ 78 FGO) in die vom FG im Rahmen seiner gerichtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 76 AO) beigezogenen und ihm dann vorliegenden Akten (des Veranlagungs-, Betriebsprüfungs-FA, der Steufa oder StA etc.) verbunden werden.

 

Rz. 474

[Autor/Stand] Soweit die Akte elektronisch geführt wird, erfolgt die Akteneinsicht seit dem 1.1.2018 durch Abruf der entsprechenden Daten (§ 78 Abs. 2 FGG).

 

Rz. 475

[Autor/Stand] Wird die Akte in Papierform geführt, kann sie bei Gericht eingesehen werden. Es besteht kein Anspruch auf Versendung in die Kanzleiräume. Insoweit existiert aber ein Ermessensspielraum des Gerichts.[16] Gegebenenfalls ist das FG bereit, die Akten statt in die Kanzlei in das nächste AG oder FA zu schicken. Bei Einsichtnahme besteht dann die Möglichkeit, Kopien aus der Akte zu erhalten; eine Gesamtkopie soll allerdings begründungspflichtig sein.[17]

 

Rz. 476

[Autor/Stand] Für die gerichtliche AdV fallen Gerichtskosten an – 2 Gebühren für den AdV-Antrag, die auf 0,75 Gebühren reduziert werden, wenn der AdV-Antrag zurückgenommen wird (vgl. Kostenverzeichnis Nr. 6210, 6211).

 

Rz. 477

[Autor/Stand] Die Akteneinsicht könnte auch mittels Klage erfolgen, dann aber wären mit einer eventuellen Rücknahme die Bescheide rechtskräftig.

 

Rz. 478– 480

[Autor/Stand] Einstweilen frei.

[Autor/Stand] Autor: Heerspink, Stand: 01.05.2020
[2] Kritisch dazu Seer in Tipke/Kruse, § 91 AO Rz. 25 ff.
[4] BFH v. 6.8.1965 – VI 349/63 U, BFHE 83, 490; BFH v. 7.5.1985 – VII R 25/82, BFHE 143, 503 = CR 1986, 712; BFH v. 8.2.1994 – VII R 88/92, BFHE 174, 197 = CR 1995, 11; BFH v. 8.6.1995 – IX B 168/94, BFH/NV 1996, 64; zust. Carl/Klos, INF 1994, 488; Dißars, NJW 1997, 481; a.A. Burkhard, INF 2001, 168; Burkhard, DStR 2002, 1794; vgl. OFD Koblenz v. 24.3.2005 – S 0226 A – St 35 1; und Dißars, DStR 2005, 137 ff.; für Fallheft des Fahndungsprüfers: BFH v. 4.6.2003 – VII B 138/01, BFHE 202, 231 = AO-StB 2003, 362 m. Anm. T...

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