Rz. 61
Da für die Finanzbehörde die gleichen Grundsätze wie für die Staatsanwaltschaft gelten, wird an dieser Stelle nur auf einzelne für Steuerstrafverfahren besonders bedeutsame Aspekte hingewiesen (s. sogleich Rz. 67 ff.) und im Übrigen zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die Erläuterungen zu § 385 AO und § 397 AO Bezug genommen, und zwar hinsichtlich
Rz. 62
Voraussetzung jeder strafprozessualen Zwangsmaßnahme, insb. einer Durchsuchung, ist, dass die Wahrscheinlichkeit besteht, dass eine bestimmte Straftat bereits begangen ist, nicht nur straflos vorbereitet worden ist, und hierfür zureichende tatsächliche Anhaltspunkte bestehen. Vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen genügen nicht.
Mit der Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung durch Art. 13 Abs. 1 GG erfährt die räumliche Lebenssphäre des Einzelnen einen besonderen grundrechtlichen Schutz. Erforderlich zur Rechtfertigung eines Eingriffs in dieses Grundrecht ist der konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde. Das Gewicht des Eingriffs verlangt dabei Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Eine Durchsuchung darf nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind; denn sie setzt einen Verdacht bereits voraus. Notwendig ist ein auf konkrete Tatsachen gestütztes Verhalten, das den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt.
Beispiel
Die bloße Stellung als Prokurist in einem Unternehmen genügt für sich genommen nicht. Gleiches gilt für den Bereich des Steuerstrafrechts für den CFO oder den Leiter der Steuerabteilung.
Rz. 63
Zwangsmaßnahmen wie Beschlagnahmen, Durchsuchungen oder Untersuchungshaft dürfen im Strafverfahren grds. nur vom Richter angeordnet werden. Insbesondere bei der Anordnung von Durchsuchungen muss der verfassungsrechtliche Richtervorbehalt (Art. 13 Abs. 2 GG) mittels einer vorbeugenden Kontrolle durch eine unabhängige Instanz abgesichert werden. Um die Kompetenzzuordnung zu wahren, müssen die personelle Ausstattung und die Organisation der Gerichte bis hin zum richterlichen Eil- oder Notdienst entsprechend sichergestellt werden. Eine Ausnahme vom Richtervorbehalt ist nur gegeben, wenn Gefahr im Verzug begründet werden kann.
Eine Anhörung des Betroffenen vor Erlass der die Zwangsmaßnahme legitimierenden Anordnung findet, auch soweit es unverdächtige Personen betrifft (vgl. § 103 StPO), trotz des gesetzlichen Regelfalls (Art. 103 Abs. 1 GG, § 33 Abs. 3 StPO) unter Berufung auf die mögliche Gefährdung des Untersuchungszwecks (§ 33 Abs. 4 StPO) faktisch nicht statt.
Rz. 64
Nur ausnahmsweise ist die Finanzbehörde – ebenso wie die Staatsanwaltschaft – berechtigt, bei Gefahr im Verzug
Der Begriff der Gefahr im Verzug muss restriktiv ausgelegt werden, wie dies in jüngerer Zeit auch die Rspr. vor allem im Hinblick auf die Eilkompetenz bei Durchsuchungsanordnungen wiederholt betont. Erforderlich ist, dass aufgrund von Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, der Untersuchungserfolg wäre gefährdet, wenn sich die Maßnahme wegen der Anrufung des Richters verzögern würde (ebenso Nr. 60 Abs. 6 und 7 AStBV (St) 2022; s. AStBV Rz. 60). Die bloße Vermutung, durch eine zeitliche Verzögerung trete der Verlust von Beweismitteln ein, genügt nicht. Ob Gefahr im Verzug vorlag, unterliegt in vollem Umfang der richterlichen Kontrolle. Die Ermittlungsbeamten haben, bevor sie sich auf die Eilkompetenz stützen, nachweislich zu versuchen, den zuständigen Richter zu erreichen, zumal dieser in Eilfällen seine Entscheidung auch telefonisch mitteilen kann. Entsprechende Versuche sind aktenkundig zu machen.
Rz. 65
Die Eilanordnung bedarf zum Teil der richterlichen Bestätigung binnen drei Tagen (vgl. § 98 Abs. 2 Satz 1, § 100 Abs. 2 StPO). Bei nicht freiwilliger Herausgabe von Unterlagen soll der anordnende Beamte die richterliche Bestätigung einholen (§ 98 Abs. 2 Satz 1 StPO). Der Betroffene kann jederzeit eine gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Anordnung herbeiführen (§ 98 Abs. 2 Satz 2 StPO, ggf. in analoger Anwendung), selbst dann, wenn das Gericht...