a) Erforderlichkeit eines Informationsaustausches
Rz. 840
Ein zentrales Tatbestandsmerkmal der einen Auskunftsverkehr rechtfertigenden Normen stellt das – in verschiedenen Ausprägungen existierende – Kriterium der Erforderlichkeit der beabsichtigten Auskunft dar. Die Frage der "Erforderlichkeit" bzw. der "voraussichtlichen Erheblichkeit" stellt bei Auskünften auf Ersuchen selten, umso mehr bei Spontanauskünften einen entscheidenden Streitpunkt dar.
Rz. 841
Dies gilt zunächst für die Auskunftsinanspruchnahme durch deutsche FinB bei ausländischen Stellen. Nach den Vorschriften der AO (vgl. § 111 Abs. 1 Satz 1 AO, § 112 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 AO) muss die Amtshilfe zur Durchführung eines inländischen Besteuerungsverfahrens erforderlich sein. Ausländische Behörden dürfen insb. nur dann um Amtshilfe ersucht werden, wenn die deutsche Finanzverwaltung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen im Inland oder aus staatsrechtlichen Gründen im Ausland die Ermittlungen nicht oder nur mit wesentlich größerem Aufwand als die ersuchte Auslandsbehörde vornehmen könnte.
Beispiel
Ein im Inland ansässiges Unternehmen verfügt über ausländische Niederlassungen. Im Rahmen einer Betriebsprüfung will das inländische FA in Erfahrung bringen, ob es sich bei den ausländischen Niederlassungen um Betriebsstätten oder Tochtergesellschaften handelt, und in einem Auskunftsersuchen u.a. folgende Fragen an die ausländischen Behörden stellen:
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1. Wer ist Ihrer Auffassung nach wirtschaftlicher Eigentümer der ausländischen Niederlassungen? |
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2. Liegt eine Betriebsstätte oder Repräsentanz der deutschen Firma in Ihrem Land vor? Wenn ja, wie wurde diese steuerlich behandelt? |
Hinsichtlich beider Fragen fehlt es an der Erforderlichkeit der begehrten Auskunft für das inländische Besteuerungsverfahren. Die Frage nach dem wirtschaftlichen Eigentümer stellt keine Tatsachenermittlung dar, sondern die Auskunft um eine rechtliche Würdigung durch die ausländische FinB, die allerdings für die deutsche Besteuerung nicht maßgeblich und daher nicht erforderlich ist. Die rechtliche Würdigung eines Sachverhalts obliegt allein der deutschen Behörde.
Die weitere Frage nach der steuerrechtlichen Qualifikation ausländischer Betriebsstätten ist regelmäßig für die deutsche Besteuerung nicht erforderlich. Zulässig sein kann allerdings eine Frage nach der tatsächlichen Besteuerung der vom Stpfl. im Ausland erzielten, an sich nach DBA dort zu versteuernden Einkünfte, um daran anknüpfend prüfen zu können, ob die Freistellung dieser Einkünfte im Inland versagt werden kann (vgl. § 50d Abs. 9 EStG).
Rz. 842
Für die Auskunftsgewährung durch deutsche FinB verlangen sowohl das EUAHiG als die Auskunftsklausel nach einem DBA die Erforderlichkeit der begehrten Information. Das Tatbestandsmerkmal ist in den einschlägigen Normen allerdings unterschiedlich umschrieben. Danach dürfen (nur) die Informationen weitergegeben werden, die für die Besteuerung im Ausland entweder
- voraussichtlich erheblich sein können (betreffend vor allem Auskunftsersuchen nach dem EUAHiG und dem aktuellen OECD-MA,
- erforderlich sind (altes OECD-MA) oder
- von Nutzen sein können (betreffend Spontanauskünfte nach dem EUAHiG).
Rz. 843
In Art. 26 Abs. 1 OECD-MA ist das Erforderlichkeitskriterium damit umschrieben, dass die Informationen für ein Besteuerungsverfahren "voraussichtlich erheblich" sein müssen. Bei der Auslegung dieser Auskunftsklausel sind die vorhergehende Fassung sowie die hierzu ergangene Rspr. von Bedeutung.
Rz. 844
Nach der bis 2005 geltenden Fassung von Art. 26 Abs. 1 OECD-MA tauschen die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten die Informationen aus, die zur Durchführung des Abkommens und des innerstaatlichen Rechts der Vertragsstaaten betreffend die unter das Abkommen fallenden Steuern "erforderlich" sind. Diese Erforderlichkeit wurde bejaht, wenn die ernstliche Möglichkeit besteht, dass der andere Vertragsstaat abkommensrechtlich ein Besteuerungsrecht hat und ohne die Auskunft von dem Gegenstand dieses Besteuerungsrechts keine Kenntnis erlangt. Für das Merkmal der Erforderlichkeit sollte es auch nicht darauf ankommen, wie ein in Deutschland festgestellter Besteuerungssachverhalt nach dem Recht des anderen Vertragsstaates zu beurteilen ist und unter welchen Voraussetzungen nach jenem Recht etwa ein Steueranspruch besteht.
Rz. 845
Tatsächlich besteht kein Unterschied zu der jetzigen, seit 2005 geltenden Formulierung. Die Auskunftserteilung ist "voraussichtlich erheblich" i.S.d. Art. 26 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA, wenn sie der Durchführung des DBA im Hinblick auf die unter das Abkommen fallenden Steuern dient, weil dem Empfängerstaat ein Besteuerungsrecht bzgl. des mitgeteilten Sachverhalts zustehen kann. Es spricht vieles dafür, dass mit der Neufassung von Art. 26 OECD-MA 2005 keine inhaltliche Änderung im Sinne einer Absenkung der tatbestandlichen Voraussetzungen und damit ein erweiterter Anwendungsbereich...