Rz. 749
Der Einsatz von Flankenschutzfahndern ist einzuordnen in die Thematik, wieviel Abschreckung und Kontrolle im Besteuerungsverfahren rechtspolitisch erwünscht ist. Die Vorschriften der AO und der StPO werden oftmals nach dem rechtspolitischen Willen des jeweiligen Gesetzgebers verändert. Bei Flankenschutzfahndern stellt sich daher auch die Frage, ob Besteuerungs- und Strafverfahren zunehmend weniger getrennt werden sollen.
Rz. 750
Die Problematik des Einsatzes von Flankenschutzfahndern betrifft mithin die "Janusköpfigkeit" der Steuerfahndung, welche im Steuer- und im Strafverfahren, ja sogar zugleich, tätig werden kann. Dabei werden von der Praxis der Finanzbehörden teilweise Vermengungen von Steuer- und Strafverfahren akzeptiert, bzw. ausdrücklich gewünscht. Das auch die 2016 eingeführte Kassennachschau des § 146b AO nunmehr in Begleitung von Flankenschutzfahndern erfolgt, belegt als Beispiel den rechtspolitischen Zeitgeist. Offensichtlich soll bei manchen Stpfl. der Eindruck entstehen, dass Besteuerungsverfahren beobachtet werden und "jederzeit" in ein Strafverfahren umschlagen können. Der Druck auf die Stpfl. wird spürbar erhöht. Das ist kein Nebeneffekt, sondern das Ziel des Einsatzes von Flankenschutzfahndern.
Rz. 751
Diese Vermengungen zwischen den Verfahren führen aber ebenfalls zu Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts des Stpfl., welcher in steuerlichen Angelegenheiten unangekündigten Besuch vom Flankenschutzfahnder bekommt. Die Rspr. des BFH zum Rehabilitationsinteresse des Stpfl. (s. Rz. 249 f.; Unverhältnismäßigkeit der steuerlichen Tätigkeit der Steufa nach eingestelltem Strafverfahren) ist, wie Beyer richtigerweise betont, durchaus auch in Flankenschutzfällen einschlägig. Diese Sichtweise bestätigt die jüngste Rspr. des BFH, demnach bei einem häuslichen Besuch eines Flankenschutzfahnders durchaus das Rehabilitationsinteresse des Stpfl. verletzt sein kann (s. Rz. 734).
Rz. 752
Oftmals liegt, bei Beachtung der angeführten Rspr. des BFH, in Flankenschutzfällen eine unverhältnismäßige Ermittlungsmaßnahme steuerlicher Art vor. Das aktuelle Urteil des BFH fordert erfreulicherweise mit deutlichen Vorgaben in diesen Fällen die Anwendung von gleich geeigneten, milderen Mitteln (weiteres schriftliches Auskunftsersuchen, Ortsbesichtigung nach vorheriger Benachrichtigung oder Inaugenscheinnahme des häuslichen Arbeitszimmers durch einen Mitarbeiter der Veranlagungsbehörde). Diese Auffassung gilt für den BFH zumindest dann, wenn der Stpfl. bereit war, an der Aufklärung des Sachverhaltes mitzuwirken und der konkrete Verdacht einer Steuerhinterziehung nicht bestand.
Rz. 753
Die Vorfeldermittlungen der Steuerfahndung nach § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO beim Einsatz von Flankenschutzfahndern, bei Vorliegen eines "hinreichenden Anlasses", sind, trotz steuerlicher Etikettierung, in der Realität strafprozessualer Art. Die Aufdeckung von "unbekannten Steuerfällen" wäre im Strafverfahren unzulässig, da kein Anfangsverdacht gem. § 152 Abs. 2 StPO vorliegt. Der Anfangsverdacht löst demnach nicht nur die Erforschungspflicht der Ermittlungsbehörden aus, sondern begrenzt auch die strafverfahrensrechtliche Befugnis zum Einschreiten (s. Rz. 207).
Rz. 754
Das Problem, dass der Flankenschutzfahnder der Steuerfahndung im Besteuerungsverfahren in nicht wenigen Fällen vom Rechtsempfinden der Betroffenen, aber vor allem aufgrund des Inhalts seiner Ermittlungen Strafverfolgung, vor dem Bestehen eines Anfangsverdachts, betreibt, ist somit im Strafverfahren verboten und unter dem gesetzlichen Deckmantel des Steuerrechts wieder erlaubt. Tormöhlen hält insoweit fest:
"in einem harmlosen Besteuerungsverfahren werden strafprozessuale Ermittlungen ermöglicht".
Rz. 755
Vor diesem Hintergrund ermöglicht nur eine strikte Beachtung der Verfahrensregelungen der AO (bzw. der StPO) und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein rechtsstaatliches Vorgehen. Die Grundlage im Steuervollzug ist, dass Im Regelfall davon auszugehen ist, dass die Angaben des Stpfl. in seiner Steuererklärung vollständig und richtig sind (AEAO zu § 88 Abs. 6 Satz 1). Bei Berücksichtigung dieser Grundlage ist der "hinreichende Anlass" für die Vorfeldermittlungen nach § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO in den Flankenschutzfällen oftmals fraglich. Das gilt ebenfalls für die Frage, ob das auszuübende Ermessen (Verhältnismäßigkeit) in diesen Sachverhalten das Ersuchen der Fahndung seitens des Finanzamts nach § 208 Abs. 2 Nr. 1 AO rechtfertigt. Die Ausnahme vom Regelfall der AEAO zu § 88 Abs. 6 Satz 1 ist bei beiden Aufgabenormen für den Einsatz der Flankenschutzfahnder (§ 208 Abs. 1 Nr. 3 AO oder § 208 Abs. 2 Nr. 1 AO) sorgfältig, in jedem Einzelfall, zu begründen.
Rz. 756
Bei Beachtung dieser Grundsätze, insb. unter Beachtung der erläuterten aktuellen Rspr. des 8. Senats des BFH, verbleiben nur Fallgruppen, bei welchen der Einsatz der Steuerfahndung rechtlic...