Leitsatz
1. Hat der Steuerpflichtige im Formular für die Einkommensteuererklärung in der "Anlage Kinder" die Geburtsdaten, das erhaltene Kindergeld, die Zeiten der Berufsausbildung und die Bruttoarbeitslöhne der Kinder angegeben, hat er damit konkludent Ausbildungsfreibeträge für die Kinder beantragt, auch wenn er die Rubrik "Ausbildungsfreibetrag" nicht ausgefüllt hat. Übergeht das FA derartige Anträge, ohne darauf im Einkommensteuerbescheid hinzuweisen, kann wegen der versäumten Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht kommen.
2. Der nach Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids gestellte Antrag auf Gewährung von Ausbildungsfreibeträgen ist keine die Änderung des Bescheids rechtfertigende neue Tatsache i.S.d. § 173 AO. Ist aus den Angaben in der Einkommensteuererklärung ersichtlich, dass sich die Kinder in der Ausbildung befinden, wird dem FA durch den Antrag auch nicht nachträglich als neue Tatsache bekannt, dass dem Steuerpflichtigen Aufwendungen für die Berufsausbildung seiner Kinder entstanden sind.
Normenkette
§ 110 AO , § 126 Abs. 3 AO , § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO , § 355 Abs. 1 AO , § 33a Abs. 2 und 4 EStG
Sachverhalt
Die Kläger sind Eltern zweier 1976 und 1977 geborener Kinder. Mit den Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1996 und 1997, die sie ohne die Hilfe eines Steuerberaters erstellten, reichten sie jeweils eine "Anlage Kinder" ein, auf der sie Namen, Geburtsdatum, Wohnort der Kinder, erhaltenes Kindergeld und das zu den Kindern bestehende Verwandtschaftsverhältnis angaben. Weiterhin gaben sie an, dass und in welchen Monaten sich die Kinder in der Berufsausbildung befänden.
Außerdem erklärten sie Einnahmen der Kinder in Höhe eines Bruttoarbeitslohns von 5.090DM (Sohn) und 5.235,05 DM (Tochter) in 1996 und von 2.902 DM (Sohn) und 4.485 DM (Tochter) in 1997. Die in der Überschrift "Ausbildungsfreibetrag" vorgesehenen Zeilen, die Fragen zum Familienstand der Kinder, dem Zeitraum, innerhalb dessen Aufwendungen für die Berufsausbildung entstanden sind, zu den auf diesen Zeitraum entfallenden Einnahmen des Kindes sowie zur Unterbringung des Kindes enthielten, füllten die Kläger nicht aus.
Das FA setzte daraufhin in den Einkommensteuerbescheiden 1996 vom 27.8.1997 und 1997 vom 8.6.1998 keine Ausbildungsfreibeträge an. Gegen die Einkommensteuerbescheide wurden keine Einsprüche eingelegt. Am 6.4.1999 beantragten die Kläger, die Einkommensteuerbescheide der Jahre 1996 und 1997 zu ändern und Ausbildungsfreibeträge für beide Kinder zu gewähren. Das FA lehnte diesen Antrag ab.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Die Revision hatte zum Teil Erfolg.
Entscheidung
Es lägen keine neuen nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen vor. Die Kläger hätten in der "Anlage Kinder" alle erforderlichen Angaben zur Erlangung eines Ausbildungsfreibetrags gemacht und damit konkludent Ausbildungsfreibeträge beantragt. Diese hätte das FA ohne Begründung nicht gewährt. Den Klägern sei daher Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumnis der Einspruchfrist zu gewähren. Jedoch gelte dies nur hinsichtlich des Jahrs 1997, da für das Jahr 1996 die Jahresfrist des § 110 Abs. 3 AO abgelaufen sei und daher Wiedereinsetzung nicht gewährt werden könne.
Hinweis
In der Anlage Kinder werden zum Teil Fragen unter der Rubrik "Ausbildungsfreibetrag" wiederholt gestellt. Insbesondere steuerliche Laien werden hiervon überfordert, da sie annehmen, eine erneute Beantwortung sei nicht erforderlich. Mit diesem Urteil hat der BFH entschieden, dass konkludent ein Ausbildungsfreibetrag beantragt wird, wenn der Steuerpflichtige alle Angaben gemacht hat, die zur Erlangung eines Ausbildungsfreibetrags erforderlich sind, und zwar auch dann, wenn er die unter der Überschrift "Ausbildungsfreibetrag" geforderten Daten nicht oder nicht vollständig einträgt. Nach dem Gesetz wird ein Ausbildungsfreibetrag nur auf Antrag des Steuerpflichtigen gewährt, jedoch ist davon auszugehen, dass derjenige, der einen Abzug geltend machen kann und alle Angaben hierzu macht, diesen auch geltend machen will.
Bescheidet das FA diesen konkludent gestellten Antrag nicht und wird dies vom Steuerpflichtigen nicht bemerkt, kann er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen des Versäumens der Einspruchsfrist verlangen. Denn nach § 126 Abs. 3 Satz 1 AO gilt in diesen Fällen die Einspruchsfrist als schuldlos versäumt, wenn die mangelnde Belehrung über die Abweichung ursächlich für die Versäumung der Einspruchsfrist war. Hiervon ist regelmäßig auszugehen, es sei denn, der Steuerpflichtige trägt selbst vor, er habe die Abweichung bemerkt, aber gleichwohl keinen Einspruch eingelegt. Ist allerdings die Jahresfrist des § 110 Abs. 3 AO verstrichen, kann Wiedereinsetzung nicht mehr erlangt werden.
Wurden alle Angaben, die zur Erlangung eines Ausbildungsfreibetrags erforderlich sind, in der Erklärung gemacht, liegen in der späteren ausdrücklichen Geltendmachung eines Ausbildungsfreibetrags keine nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen. Etwas anderes gilt aber bei u...