Prof. Dr. Bernd Heuermann
Leitsatz
Die Änderung eines Steuerbescheids gem. § 174 Abs. 4 AO kommt nur in Betracht, wenn der Antrag oder Rechtsbehelf des Steuerpflichtigen spezifisch auf die Änderung des vorausgegangenen Bescheids gerichtet war.
Normenkette
§ 174 Abs. 4 AO
Sachverhalt
K war als Geschäftsführer bei der A-GmbH beschäftigt, an der er ursprünglich auch zur Hälfte beteiligt war. Das Anstellungsverhältnis wurde vorzeitig zum 31. 12.1999 beendet; zum Ausgleich verpflichtete sich die A-GmbH, dem Kläger eine Abfindung von 500 000 DM zu zahlen, fällig am 01.01.2000. Bereits im Jahr 1998 hatten K und sein Mitgesellschafter ihre restliche Beteiligung an der A-GmbH an die B-GmbH veräußert, an der der Kläger ebenfalls beteiligt war. Sein Kaufpreisanteil betrug 3 500 000 DM, wobei er sich zur Rückerstattung desjenigen Teils des Kaufpreises verpflichtet hatte, um den der von ihm erzielte Erlös einen späteren (anteiligen) Weiterveräußerungserlös der B-GmbH überstieg.
Bei der Weiterveräußerung im Jahr 1999 erzielte die B-GmbH den von ihr gezahlten Kaufpreis nicht, weshalb ihr ein Rückerstattungsanspruch i.H.v. 500 000 DM gegen den Kläger zustand. Im Folgenden trat der Kläger seinen Abfindungsanspruch gegen die A-GmbH an die B-GmbH ab und zeigte die Abtretung mit Schreiben vom 11.11.1999 der A-GmbH an, die am 21.12.1999 an die B-GmbH zahlte. Der Zufluss der 500 000 DM wurde bei der B-GmbH als Betriebseinnahme der Besteuerung unterworfen; eine Berücksichtigung der Zahlung bei K erfolgte zunächst weder für den Veranlagungszeitraum 1998 noch für den Veranlagungszeitraum 1999.
Am 02.04.2004 erhielt das damals für K zuständige FA HO eine Kontrollmitteilung, dass K eine Abfindungszahlung i.H.v. 500 000 DM aufgrund der vorzeitigen Aufhebung des Geschäftsführervertrags erhalten habe. Die Zahlung an die B-GmbH sei am 21.12.1999 erfolgt. Ohne diese Kontrollmitteilung auszuwerten, änderte das FA HO aus anderen Gründen mit Bescheid vom 16.03.2005 den ESt-Bescheid für 1999. Unter dem 16.12.2005 änderte das FA HO diesen Bescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO und setzte die ESt für 1999 unter Berücksichtigung der Abfindung auf 271 811,97 EUR (531 618 DM) fest. Hiergegen legte K Einspruch mit der Begründung ein, dass nach Berücksichtigung des Abfindungsbetrags bei der ESt des K konsequenterweise in Höhe dieses Betrags der KSt-Bescheid der B-GmbH berichtigt werden müsse. Dies habe das für die B-GmbH zuständige FA jedoch wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung abgelehnt. Es werde daher beantragt, das sie betreffende Verfahren im Hinblick auf das bereits anhängige Verfahren gegen den KSt-Bescheid ruhen zu lassen.
Anlässlich des beim FG anhängigen Klageverfahrens der B-GmbH betreffend die KSt 1999 regte das FG an, bei dem Kläger für den Veranlagungszeitraum 1998 den ihm ursprünglich zugeflossenen Veräußerungserlös um 500 000 DM zu mindern, damit die Zahlung des Betrags nicht nur isoliert im Rahmen der Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit im Veranlagungszeitraum 1999 berücksichtigt werde. Das zwischenzeitlich für die ESt zuständig gewordene FA schlug daraufhin am 11.12.2006 schriftlich vor, den Veräußerungserlös aus dem Verkauf der Beteiligung an der A-GmbH in 1998 aufgrund der 1999 erfolgten Kaufpreiserstattung um 500 000 DM zu reduzieren und die ESt für 1998 entsprechend herabzusetzen. Im Gegenzug solle eine Rücknahme des Einspruchs für 1999 erfolgen.
Laut Telefonvermerk des FA vom selben Tag erklärte der damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers, nach Vorlage des entsprechend geänderten ESt-Bescheids 1998 die Klage betreffend die B-GmbH und nach Bestandskraft des Bescheids den Einspruch gegen den ESt-Bescheid 1999 zurücknehmen zu wollen. Die schriftliche Fixierung der Vereinbarung durch das FA vom 12.12.2006 entsprach dem zuvor von ihm unterbreiteten Vorschlag; die Rücknahme der Klage der B-GmbH wird darin nicht erwähnt.
Das FA erließ wie angekündigt am 21.12.2006 einen nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO geänderten ESt-Bescheid für 1998, in dem der Erlös aus der Veräußerung der Geschäftsanteile um 500 000 DM herabgesetzt war. Der Kläger nahm in der Folge den Einspruch gegen den ESt-Bescheid 1999 nicht zurück, sondern beantragte über einen neuen Prozessbevollmächtigten die Fortsetzung des bis dahin ruhenden Einspruchsverfahrens. Eine Änderung des ESt-Bescheids 1999 vom 16.12.2005 sei nicht zulässig gewesen, weil es an einer Änderungsvorschrift fehle.
Mit Bescheid vom 12.11.2007 hob das FA den ESt-Bescheid 1999 vom 16.12.2005 auf. Mit weiterem Bescheid vom selben Tag erließ es gestützt auf § 174 Abs. 4 AO den streitgegenständlichen ESt-Bescheid und setzte die ESt 1999 wiederum auf 271 811,97 EUR fest. Einspruch und Klage blieben erfolglos (FG Hamburg, Urteil vom 16.06.2009, 2 K 177/08, Haufe-Index 2259865).
Entscheidung
Der BFH folgte dieser Auffassung nicht und gab der Klage statt. In der Tat liegen die Voraussetzungen einer Korrekturnorm nicht vor. Der ESt-Bescheid konnte aus den in den Praxis-Hinweisen dargelegten Erwägungen nicht nach § 174 Abs. 4 AO geändert...