Leitsatz
1. Aufwendungen für die Neuanschaffung von Mobiliar können als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sein, wenn von den ausgetauschten Möbeln aufgrund einer Formaldehydemission nachweisbar eine konkrete Gesundheitsgefährdung ausgeht.
2. Die konkrete Gesundheitsgefährdung gilt als nachgewiesen, wenn die Formaldehydemission ausweislich eines vor der Anschaffung erstellten amtlichen technischen Gutachtens zu einer Formaldehydkonzentration in der Innenluft von über 0,1 ppm geführt hat. Wird dieser Grenzwert unterschritten, können die Kosten für die Neuanschaffung steuerlich nur dann abziehbar sein, wenn die Schadstoffbelastung tatsächlich gesundheitliche Beeinträchtigungen verursacht hat. Der Kausalzusammenhang zwischen gesundheitlicher Beeinträchtigung und Formaldehydemission ist in diesem Fall zusätzlich durch ein vor der Anschaffung erstelltes amtsärztliches Zeugnis zu belegen.
Normenkette
§ 33 EStG
Sachverhalt
Die Kläger, Eheleute, machten in ihrer Einkommensteuererklärung für 1995 u.a. Aufwendungen in Höhe von 26 843 DM für die Anschaffung von Schlafzimmermöbeln geltend. Die bisherige – im Streitjahr mindestens zehn Jahre alte – Schlafzimmereinrichtung sei wegen der chronischen, auf formaldehydverseuchte Möbel zurückzuführenden Nasennebenhöhlenerkrankung der Klägerin ausgetauscht worden. Das FA lehnte den Abzug dieser Aufwendungen ab, weil es sich um Kosten der privaten Lebensführung handle.
Während des anschließenden Einspruchs- und Klageverfahrens reichten die Kläger Atteste einer Ärztin für Allgemeinmedizin ein, nach denen die Klägerin an einer chronisch rezidivierenden Nasennebenhöhlenentzündung aufgrund einer nachgewiesenen Formaldehydbelastung in der Wohnung leide und sich in ständiger Behandlung der Universitätsklinik X befinde. Ferner legten sie eine ärztliche Bescheinigung der Universitätsklinik X vom 28.4.1997 vor. Danach sei im Schlafzimmer der Kläger durch das Labor Y eine Formaldehydkonzentration von 0,11 ml/ccm (ppm) nachgewiesen worden. Die durchgeführte Schlafzimmersanierung erscheine daher sinnvoll.
Das FG gab der Klage statt. Die Revision führte zur Zurückverweisung.
Entscheidung
Zu Unrecht habe das FG auf den amtlichen Nachweis der Zwangsläufigkeit der geltend gemachten Aufwendungen verzichtet. Zwar sei der Austausch von Möbeln mit gesundheitsgefährdenden Formaldehydausdünstungen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig, denn dem Steuerpflichtigen sei es nicht zumutbar abzuwarten, ob er tatsächlich zu den empfindlichen Personen gehöre, die bereits bei einer knapp über dem Grenzwert liegenden Schadstoffbelastung mit Krankheitserscheinungen reagierten.
Es sei aber unverzichtbar, dass die Schadstoffbelastung durch ein amtliches technisches Gutachten nachgewiesen werde, das vor Austausch der Möbel einzuholen sei. Unterschreite die Konzentration den Grenzwert, sei die gesundheitliche Beeinträchtigung zusätzlich durch ein amtsärztliches Attest zu belegen. Da der Senat erstmals für derartige Fälle die Einholung eines amtlichen Gutachtens vor Austausch der Möbel verlange, könne das Gutachten ausnahmsweise nachgereicht werden.
Hinweis
Werden Möbel oder sonstige Hausratsgegenstände ausgetauscht, weil von ihnen eine Gesundheitsgefährdung ausgeht, können die Kosten für die Neuanschaffung als außergewöhnliche Belastung abgezogen werden. Ähnliches hat der BFH bereits hinsichtlich der Aufwendungen für die Sanierung asbestverseuchter Häuser entschieden (BFH, Urteil vom 9.8.2001, III R 6/01, BFH-PR 2002, 46).
Voraussetzung für den Abzug ist eine konkrete Gesundheitsgefährdung, die der BFH bei einer Formaldehydkonzentration von 0,1 ppm unterstellt. Den Wert von 0,1 ppm betrachtet das Bundesgesundheitsamt als Grenzwert, der selbst empfindliche Personen vor Reizwirkungen schütze. Er liegt auch unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen zugrunde, so z.B. der Verordnung über die Verbote und Beschränkungen des In-Verkehrbringens gefährlicher Stoffe.
Ob diese Konzentration erreicht wird, ist durch ein, vor dem Austausch der Möbel eingeholtes, amtliches technisches Gutachten, etwa des TÜV, nachzuweisen. Darin ist die Quelle der Abgabe genau zu beschreiben. Ferner muss nachgewiesen werden, dass, falls es sich um Sondermüll handelt, dieser ordnungsgemäß entsorgt wurde. Die Gutachtenkosten sind ebenfalls als außergewöhnliche Kosten nach § 33 EStG abziehbar.
Auch bei einer geringeren Schadstoffemission kann ein Abzug als außergewöhnliche Belastung in Betracht kommen. Allerdings ist dann zusätzlich durch ein vor Anschaffung der neuen Möbel erstelltes amtsärztliches Attest zu belegen, dass die Schadstoffbelastung tatsächlich eine gesundheitliche Beeinträchtigung verursacht hat und der Austausch der Möbel ein geeignetes Mittel ist, diese Beeinträchtigung zu beseitigen.
Bei der Ermittlung des abzuziehenden Betrags ist die durch den Erwerb der neuen schadstoffarmen Möbel zugeflossene Werterhöhung mindernd zu berücksichtigen. Hat z.B. das schadstoffbelastete Möbelstück eine übliche Nutzungsdauer von 15 Jahren und ist es ...