Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine verschuldete Arbeitsunfähigkeit bei Suchtleiden. Einheitlicher Versicherungsfall bei Entgeltfortzahlung. Darlegungslast des Arbeitgebers bei Widerlegung des einheitlichen Versicherungsfalls
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Arbeitsunfähigkeit wegen eines Suchtleidens ist grundsätzlich nicht selbstverschuldet. Eine Ausnahme besteht, wenn es nach einer Therapie zu einem Rückfall kommt.
2. Es beginnt nur dann ein neuer Zeitraum der Entgeltfortzahlung, wenn der erste Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit abgeschlossen ist, ehe der zweite Grund für eine Arbeitsunfähigkeit beginnt.
3. Die Darlegungslast für das Nichtbestehen eines einheitlichen Versicherungsfalls liegt beim Arbeitgeber.
Normenkette
EFZG § 3; SGB X § 115 Abs. 1; ZPO § 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Bonn (Entscheidung vom 10.12.2020; Aktenzeichen 3 Ca 155/20) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 10.12.2020 - 3 Ca 155/20 - unter Zurückweisung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.400,00 € brutto abzüglich bezogenem Krankengeld in Höhe von 511,10 € netto nebst Zinsen aus dem sich ergebenden Differenzbetrag in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2019 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.316,13 € brutto abzüglich bezogenem Krankengeld in Höhe von 562,11 € netto nebst Zinsen aus dem sich ergebenden Differenzbetrag in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2019 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger zu 36 % und der Beklagten zu 64 %, die erstinstanzlichen Kosten dem Kläger zu 68 % und der Beklagte zu 32 %, auferlegt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Entgeltfortzahlung aufgrund von Arbeitsunfähigkeit.
Der Kläger war bei der Beklagten in der Zeit vom 02.02.2011 bis zum 31.07.2019 als Fliesenleger beschäftigt und erzielte dort ein monatliches Bruttoeinkommen von 3.400,00 €.
Der Kläger war in dem Zeitraum vom 29.01.2019 bis zum 31.07.2019 arbeitsunfähig erkrankt, bis auf die Tage Samstag 09.03.2019 und Sonntag 10.03.2019. Wegen der Einzelheiten wird auf die Auflistung der Beklagten mit Schriftsatz vom 28.07.2020 (Bl. 45 d. A.) sowie die vom Kläger eingereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nebst Diagnosen für die Zeit ab dem 03.02.2019 (Bl. 72 ff. d. A.) Bezug genommen.
Der Kläger hat in dem Zeitraum 19.02.2019 bis 29.02.2019 Krankengeld in Höhe von 511,10 € netto und in der Zeit vom 01.03.2019 bis 11.03.2019 in Höhe von 562,11 € netto bezogen.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 10.12.2020 (Bl. 91 ff. d. A.) unter Aufhebung des Versäumnisurteils vom 16.07.2020 (Bl. 34 ff. d. A.) die Klage auf Entgeltfortzahlung wegen Arbeitsunfähigkeit für den Zeitraum 01.02.2019 bis 31.07.2019 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, für die Zeit bis zum 11.03.2019 sei die Anspruchsberechtigung mangels Angabe der Höhe des bezogenen Krankengeldes nicht feststellbar, für den Zeitraum danach sei die Klage nach den Grundsätzen zur Einheit des Verhinderungsfalles unbegründet. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbingens sowie der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Gegen das ihm am 14.12.2020 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13.01.2021 Berufung eingelegt und diese am 08.02.2021 begründet.
Der Kläger meint, die Beklagte schulde Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für die Zeit bis zum 25.03.2019. Da der Kläger nur bis zum 10.02.2019 an einer Magen-Darmerkrankung gelitten habe, habe mit dem 11.02.2019 ein neuer sechswöchiger Entgeltfortzahlungszeitraum wegen der nunmehr attestierten Arbeitsunfähigkeit begonnen.
Der Kläger beantragt,
dass Urteil des Arbeitsgerichtes vom 10.12.2020, Aktenzeichen 3 Ca 155/20, wie folgt abzuändern:
- die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.400,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 01.03.2019 für den Monat Februar 2019 zu zahlen;
- die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.035,75 € brutto abzüglich erhaltenen Krankengeldes in Höhe von 715,54 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus aus einem Betrag von 2.3020,21 € brutto seit dem 01.04.2019 für den Monat März 2019 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers kostenpflichtig zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist darauf, dass der Kläger an einer Suchterkrankung leide und man davon ausgegangen sei, dass er einen Rückfall erlitten habe. Seit dem Januar 2019 sei er nicht mehr im Betrieb erschienen und habe sich nicht gemeldet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 04.02.2021 und 17.03...