Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsratswahl
Leitsatz (amtlich)
1. Nach dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 4. Dezember 1986 (6 ABR 48/85 – AP Nr. 13 zu § 19 BetrVG 1972), bestätigt durch seinen Beschluss vom 15. Februar 1989 (7 ABR 9/88 – AP Nr. 17 zu § 19 BetrVG 1972), wird ein von drei wahlberechtigten Arbeitnehmern eingeleitetes Wahlanfechtungsverfahren nicht unzulässig, wenn die Arbeitnehmer während der Dauer des Beschlussverfahrens aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden. Das Bundesarbeitsgericht hat in dieser Entscheidung seine frühere gegenteilige Rechtsprechung aufgegeben. Es kommt nämlich alleine darauf an, dass eine Wahlberechtigung des die Wahl anfechtenden Arbeitnehmers nur zum Zeitpunkt der Wahl gegeben sein muss und deshalb ein späterer Wegfall der Wahlberechtigung durch Ausscheiden aus dem Betrieb dem Arbeitnehmer die Anfechtungsbefugnis nicht nimmt. Unabhängig davon, ob die außerordentliche fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beteiligten zu 1. durch die Arbeitgeberin rechtswirksam ist, steht jedoch fest, dass zum Zeitpunkt der Wahl dieses Arbeitsverhältnis jedenfalls bestanden hat und er damit entsprechender Wahlberechtigter war. Folglich besteht insoweit auch ein Rechtsschutzinteresse an der Durchführung des Wahlanfechtungsverfahrens fort, und zwar solange es noch mindestens einen Wahlanfechtenden gibt (BAG vom 15. Februar 1989, a. a. O.).
2. Nach § 19 Abs. 1 BetrVG kann eine Betriebsratswahl angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht oder das Wahlverfahren verstoßen worden und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht sind der allgemeine Grundsatz der freien Wahl sowie der ungeschriebene Grundsatz der Chancengleichheit der Wahlbewerber, weil sie der Integrität einer demokratischen Wahl dienen (vgl. BAG vom 6. Dezember 2000 (7 ABR 34/99 – AP Nr. 48 zu § 19 BetrVG 1972).
3. Wie das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 6. Dezember 2000 (a. a. O.) ausdrücklich ausführt, ist Wahlwerbung zulässig und bei Betriebratswahlen nicht nur durch Art. 5 Abs. 1 GG, sondern für Koalitionen auch durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt. Damit ist allerdings noch nichts darüber ausgesagt, ob eine Wahlwerbung durch einen Wahlkandidaten nicht auch die Grundsätze der Freiheit der Wahl bzw. das Gebot der Chancengleichheit der Wahlbewerber verletzen kann. Nach der bereits erwähnten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 6. Dezember 2000 (a. a. O.) hat der allgemeine Grundsatz der freien Wahl im Betriebsverfassungsrecht dem Verbot der Wahlverhinderung und Wahlbeeinflussung in § 20 Abs. 1 und 2 BetrVG seinen Ausdruck gefunden.
Das dort angesprochene Verbot der Wahlbeeinflussung richtet sich mangels erkennbarer Einschränkung gegen jedermann, folglich auch gegen konkurrierende Wahlbewerber, die Wahlberechtigten gegenüber einem unzulässigen Druck auszusetzen. Es dürfen also keine unzulässigen Mittel verwendet werden.
4. Allerdings kann nicht übersehen werden, dass nach den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Februar 1978 (2 BvR 523/75, 2 BvR 958/76 und 2 BvR 977/76 – BVerfGE 47, 198), auf die der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 6. Dezember 2000 (a. a. O.) Bezug nimmt, für den Bereich der Bundestagswahl als Adressaten des Grundsatzes der Chancengleichheit die „öffentliche Gewalt” nennt. Dabei ging es um die Wahlwerbung der Parteien in öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Das Bundesverfassungsgericht hat dabei erkannt, dass diese, wenn sie den Parteien ihre Sendeeinrichtungen für Wahlwerbesendungen zur Verfügung stellen, das Recht der Parteien auf Chancengleichheit zu beachten und zu wahren haben. Als Wahrer dieser Rechte kommt in Betriebsratswahlen prinzipiell der Wahlvorstand in Betracht. Dies erhellt ohne weiteres aus § 18 Abs. 1 S. 1 BetrVG, wonach er für die Einleitung und Durchführung der Wahl zuständig ist. Er kann sogar, kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, durch das Arbeitsgericht auf Antrag des Betriebsrats von mindestens drei wahlberechtigten Arbeitnehmern oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft gem. § 18 Abs. 1 S. 2 BetrVG ersetzt werden. Die Beteiligten zu 1. bis 3. haben hier gerade von dieser Möglichkeit offensichtlich genauso wenig Gebrauch gemacht wie andere Arbeitnehmer oder z. B. eine Gewerkschaft.
5. Weder seitens des Wahlvorstandes noch seitens der Beteiligten zu 5. als Arbeitgeberin der betroffenen Arbeitnehmer aber ist ein Verstoß gegen die gebotene Chancengleichheit im Betriebsratswahlkampf erkennbar, denn beide haben auf entsprechende Beschwerden gegen unzulässige Wahlwerbung des Arbeitnehmers G. als Listenführer der Liste 5 reagiert, indem sie auf dessen Verstöße hingewiesen und auf Einhaltung ihrer Regelungen für die „Werbung für die Betriebsratswahlen 2006” gepocht haben, zuletzt mit Schreiben vom 23. März 2006 an die Listenführer. Die Arbeitgeberin hat den Arbei...