Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebliche Übung
Leitsatz (amtlich)
1. Echte Gratifikationen wie Weihnachtsgeld oder Urlaubsgeld sind im Falle der Teilnahme eines Arbeitnehmers an Wehrübungen, die jeweils die Dauer eines Monats überschreiten, nicht wegen Ruhens des Arbeitsverhältnisses gem. § 1 Abs. 1 ArbPlSchG anteilig zu kürzen, auch wenn sie nicht ausschließlich zum Zwecke des Anreizes für künftige Betriebstreue dienen, sondern auch vergangene Arbeitsleistung belohnen wollen, also Mischcharakter haben.
2. Gewährt ein Arbeitgeber jahrelang ohne Freiwilligkeitsvorbehalt freiwillige Leistungen wie ein Weihnachts- oder Urlaubsgeld oder einen Arbeitgeberzuschuss zu vermögenswirksamen Leistungen allen Arbeitnehmern unter Einschluss der Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis, z. B. wegen Teilnahme an Wehrübungen, geruht hat, kann auch diesen Arbeitnehmern gegenüber eine entsprechende betriebliche Übung entstehen. Will der Arbeitgeber wegen des Ruhens des Arbeitsverhältnisses solche Leistungen „an sich” kürzen und sie nur ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen dennoch ungekürzt gewähren, muss er dies in irgendeiner Weise verlautbaren, bekanntgeben oder für die Arbeitnehmer erkennbar machen, wenn er geltend machen will, dass die betriebliche Übung diese Kürzungsmöglichkeit einschließt.
3. Eine betriebliche Übung setzt einen kollektiven Bezug der Arbeitgebermaßnahme voraus. Bei Beurteilung der Frage, ob ein solcher kollektiver Bezug vorliegt, ist nicht von den Vorstellungen des Arbeitgebers, sondern davon auszugehen, wie die (begünstigten) Arbeitnehmer das Arbeitgeberverhalten verstehen durften.
Normenkette
BGB § 611; ArbPlSchG §§ 1, 4
Verfahrensgang
ArbG München (Urteil vom 24.10.2008; Aktenzeichen 27 Ca 17410/07) |
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 24.10.2008 – 27 Ca 17410/07 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um vom Kläger geltend gemachte Ansprüche auf Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und vermögenswirksame Leistungen.
Der Kläger war bei der Beklagten vom 01.10.1999 bis 31.03.2007 in deren Verlag „B.” als Redakteur angestellt. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag existiert nicht. Die Beklagte zahlte an den Kläger in den Jahren 1999 bis 2004 jeweils mit der Novembervergütung ein zusätzliches Bruttomonatsgehalt, das in den Entgeltabrechnungen für November 1999 bis einschließlich 2003 als „Weihnachtsgeld” und in der Abrechnung für November 2004 als „13. Monatsgehalt” bezeichnet ist. Ferner zahlte die Beklagte mit dem Junigehalt jährlich ein Urlaubsgeld aus, dessen Höhe zunächst 80,52 % und in den Jahren 2004 und 2005 77,10 % eines Bruttomonatsgehalts betrug. Ferner zahlte die Beklagte an den Kläger monatlich vermögenswirksame Leistungen in Höhe von 26,59 EUR brutto bis einschließlich Juni 2005.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29.07.2005 fristlos. In einem gerichtlichen Vergleich vom 10.01.2007 einigten sich die Parteien darauf, dass das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Arbeitgeberkündigung zum Ablauf des 31.03.2007 ende und die Beklagte verpflichtet sei, bis zum genannten Zeitpunkt die vertragsgemäße Vergütung an den Kläger zu zahlen. Dies gelte auch, soweit der Kläger in diesem Zeitraum Wehrübungen geleistet habe. Insoweit beschränke sich die Zahlungspflicht der Beklagten auf die Leistungen, die er auch bei Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses und der Teilnahme an einer Wehrübung zu erbringen hätte. Ferner einigten sich die Parteien darüber, dass der Kläger bis zum 31.03.2007 von der Arbeitsleistung widerruflich freigestellt werde, wobei mit der Freistellung etwaige Resturlaubsansprüche erledigt seien.
Die Beklagte zahlte die Bezüge des Klägers bis einschließlich Juni 2005 ungekürzt aus, unabhängig davon, dass dieser in den Jahren 2000 bis 2005 an Wehrübungen teilnahm. Diese Wehrübungen dauerten jedoch nie länger als zwei Wochen. Im Jahr 2006 nahm der Kläger in der Zeit vom 30.01. bis 31.03. sowie vom 26.04. bis 21.07. und vom 21.08. bis 29.12. an Wehrübungen teil.
Nach Vergleichsschluss rechnete die Beklagte das Arbeitsverhältnis für die Zeit vom 30.07.2005 bis 31.12.2006 in Höhe von 42.960,59 EUR brutto ab und schlüsselte diese Zahlung in Anlage eines Schreibens an den Kläger vom 23.05.2007 näher auf. Demnach zahlte sie an den Kläger für 2006 Weihnachtsgeld in Höhe von 969,22 EUR brutto, ein Urlaubsgeld in Höhe von 747,34 EUR brutto sowie vermögenswirksame Leistungen in Höhe von insgesamt 76,20 EUR brutto.
Der Kläger machte die streitigen Ansprüche mit Schreiben vom 19.07.2006 und 26.07.2006 geltend.
Er ist der Auffassung, ihm stünden restliches Weihnachtsgeld in Höhe von 3.089,76 EUR brutto, restliches Urlaubsgeld in Höhe von 2.382,36 EUR brutto und restliche vermögenswirksame Leistungen in Höhe von 242,88 EUR zu. Er meint, beim Weihnachts- und Urlaubsgeld handele es sich um Gratifikationen, die ungekürzt zu zahlen seien, da eine entsprechende betriebliche Übung e...