Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit einer Tarifnorm und des § 1248 RVO
Leitsatz (redaktionell)
Die rechtliche Differenzierung zwischen Männern und Frauen für den Zeitpunkt des möglichen Bezugs von vorgezogenem Altersruhegeld in § 1248 RVO verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 3 GG (in Übereinstimmung mit BAG, Urt v 06.02.1985, 4 AZR 275/83, AP Nr 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Süßwarenindustrie).
Orientierungssatz
Revision eingelegt unter dem Aktenzeichen 9 AZR 750/00.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts E. vom 24.05.2000 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 2.844,-- DM.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin einen Anspruch auf Gewährung von 20 Tagen vergüteter Altersfreizeit für das Jahr 1999 gegen die Beklagte hat.
Die am 12.10.1938 geborene Klägerin ist seit 23 Jahren bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Süßwarenindustrie in den alten Bundesländern und Berlin-West der Bundesrepublik Deutschland vom 11.05.1994 (im Folgenden: MTV SüßwInd) anwendbar.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, an die Klägerin gemäß § 3 Abs. 2 des
Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmer in der Süßwarenindustrie
zustehende Altersfreizeit für das Jahr 1999 in Höhe von 20 Arbeitstagen
unter Fortzahlung der Vergütung zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf das angefochtene Urteil des Arbeitsgerichts E. vom 24.05.2000 nebst dessen Verweisungen Bezug genommen. Das Arbeitsgericht hat das Verpflichtungsbegehren der Klägerin mit der Begründung abgewiesen, dass die Klägerin zwar das 60. Lebensjahr vollendet und eine ununterbrochene 12-jährige Betriebszugehörigkeit aufzuweisen habe, der Anspruch auf Altersfreizeit sei jedoch gemäß § 3 Abs. II Ziff. 2 des Tarifvertrages ausgeschlossen, weil die Klägerin vorgezogenes Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung beanspruchen könne. Diese Regelung des MTV sei nicht mittelbar frauendiskriminierend; sie verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 3 GG.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin form- und fristgerecht Berufung eingelegt und begründet.
Sie trägt vor:
Die Regelung in § 3 Abs. 2 Ziff. 2 MTV Süßwarenindustrie verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 3 GG. Die scheinbar geschlechtsneutral ausgestaltete Regelung über Arbeitsbefreiung für ältere Arbeitnehmer erweise sich als frauendiskriminierend, denn allein der Anspruch auf vorgezogenes Altersruhegeld führe bei Frauen mit 60 Jahren zum Wegfall des Anspruchs auf Altersfreistellung, während Männer regelmäßig nach Vollendung des 60. Lebensjahres noch drei Jahre lang einen tariflichen Anspruch auf Altersfreistellung hätten. Der Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz sei darin zu sehen, dass die tarifliche Bestimmung im Regelfall Frauen von vornherein gänzlich von der Inanspruchnahme der zusätzlichen Freizeit für ältere Arbeitnehmer ausschließe, die den Männern im Regelfall gewährt werde. Nicht überzeugend sei darüber hinaus die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts, die - zugegebenermaßen Frauen benachteiligende - Regelung des Manteltarifvertrages sei deshalb gerechtfertigt, weil Frauen rentenrechtlich dadurch begünstigt würden, dass sie bereits mit 60 in Rente gehen könnten, während Männer das vorgezogene Altersruhegeld erst mit 63 beanspruchen könnten. Nicht zu akzeptieren sei die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass die Besserstellung der Frauen bei den sozialversicherungsrechtlichen Regelungen nicht dazu führen müsse, ihnen tarifvertraglich hinsichtlich der Altersfreizeit einen weiteren Vorteil hinzuzufügen. Vorliegend wirke sich nämlich eine gewollte rentenrechtliche "Privilegierung" der Frauen als tarifrechtliche Benachteiligung aus. Entscheidend sei allein die Frage, ob die tarifvertragliche Regelung, die die Klägerin von dem Anspruch auf Altersfreizeit ausschließe, verfassungskonform sei. In seiner Anmerkung zu der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 06.02.1985 fasse Prof. Stebut zusammen, dass eine Tarifnorm nicht allein deshalb verfassungsrechtlich unbedenklich sei, weil sie an eine verfassungskonforme Regelung anknüpfe. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass die einschlägige Tarifvorschrift nicht nur gegen Artikel 3 Abs. 3 GG verstoße, sondern auch mit europarechtlichen Vorschriften - hier Artikel 141 EG-Vertrag - nicht vereinbar sei. Danach habe jeder Mitgliedstaat die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicherzustellen. Die Gewährung von zusätzlicher bezahlter Freizeit betreffe letztlich auch das Entgelt. Die von der Altersfreizeit begünstigten (männlichen) Arbeitnehmer erhielten, gemessen an der von ihnen geforderten A...