Leitsatz
Die Tätigkeit eines in Deutschland ansässigen leitenden Angestellten für eine schweizerische Kapitalgesellschaft, die unter Art. 15 Abs. 4 DBA Schweiz 1992 fällt, wird auch dann i.S.d. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA Schweiz 1992 "in der Schweiz ausgeübt", wenn sie tatsächlich überwiegend außerhalb der Schweiz verrichtet wird.
Normenkette
Art. 15 Abs. 4 Satz 1, Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1992
Sachverhalt
Die Kläger waren Eheleute, die im Streitjahr 1997 gemeinsam in Deutschland lebten. Der Kläger war Geschäftsführer einer deutschen GmbH und zugleich Prokurist einer AG (X-AG) mit Sitz und Geschäftsleitung in der Schweiz. Für die X-AG war der Kläger im Streitjahr an insgesamt 12 Tagen tätig; davon entfielen 2 Tage auf Tätigkeiten in der Schweiz und 10 Tage auf Tätigkeiten in Deutschland. Einer Bestätigung des zuständigen schweizerischen Steueramts zufolge wurden die für diese Tätigkeit von der schweizerischen Tochtergesellschaft gezahlten Einkünfte des Klägers mit schweizerischer Quellensteuer belastet.
Mit der ESt-Erklärung beantragte der Kläger unter Hinweis auf Art. 15 Abs. 4 DBA Schweiz 1992, den von der X-AG gezahlten Arbeitslohn von der deutschen Besteuerung freizustellen. Das FA erfasste jedoch den auf die Tätigkeit in Deutschland entfallenden Anteil der schweizerischen Einkünfte (5/6) unter Anrechnung der anteiligen Schweizer Quellensteuer als im Inland steuerpflichtigen Arbeitslohn.
Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg (EFG 2005, 22). Die aus der Schweiz stammenden Einkünfte des Klägers aus nichtselbstständiger Arbeit seien in vollem Umfang unter Berücksichtigung des Progressionsvorbehalts (§ 32b EStG) steuerfrei zu stellen.
Entscheidung
Das sah der BFH nicht anders. Zwar zeigt er durchaus Sympathie mit dem Regelungsverständnis des FA (auch das BMF war dem Revisionsverfahren beigetreten).
Doch gibt er im Ergebnis der "traditionellen" Auslegung des Art. 15 Abs. 4 DBA Schweiz 1992 letztlich den Vorzug. Das verlange die "Auslegungskontinuität" und die auf dieser Basis festzustellende jahrzehntelange Verwaltungspraxis in beiden Vertragsstaaten.
Hinweis
1. Gute Nachrichten für leitende Angestellte (Vorstandsmitglieder, Direktoren, Geschäftsführer oder Prokuristen) von Schweizer Kapitalgesellschaften. Solche Angestellten bevorzugen es aus nahe liegenden Gründen, auch dann der deutlich geringeren kantonalen Steuerbelastung mit ihren (oftmals hohen) Einkünften unterworfen zu werden, wenn sie in Deutschland wohnen.
Dieser verständliche Wunsch wird, wie nunmehr feststeht, auch erfüllt:
2. Die Einkünfte jenes Personenkreises sind gem. Art. 15 Abs. 4 Satz 1 DBA Schweiz 1992 in der Schweiz zu besteuern, es sei denn:
- der Angestellte ist Grenzgänger i.S.v. Art. 15a DBA Schweiz 1992;
- seine Tätigkeit ist so abgegrenzt, dass sie lediglich Aufgaben außerhalb der Schweiz umfasst oder
- die Schweiz besteuert die Einkünfte (wie auch immer) tatsächlich nicht.
Greift eine dieser drei Ausnahmen aber nicht, so wird die Tätigkeit des in Deutschland ansässigen leitenden Angestellten für die schweizerische Kapitalgesellschaft i.S.d. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA Schweiz 1992, der die Steuerfreistellung in Deutschland bestimmt, "in der Schweiz ausgeübt". Das gilt unabhängig davon, wo der Angestellte sich "physisch" aufhält, also auch dann, wenn er seine Arbeit tatsächlich überwiegend außerhalb der Schweiz verrichtet. Art. 15 Abs. 4 DBA Schweiz 1992 enthält für seinen Anwendungsbereich nämlich die abschließende Fiktion des Tätigkeitsorts – und der befindet sich unter den gegebenen Umständen eben in der Schweiz.
3. Das alles ist eigentlich "alter Tobak". Die Fiktion des Tätigkeitsorts fand sich bereits im Beschluss des Großen Senats des BFH vom 15.11.1971, GrS 1/71 (BStBl II 1972, 68) und war sozusagen historisch "fundiert". Die deutsche Finanzverwaltung (vgl. BMF, Schreiben vom 7.7.1997, BStBl I 1997, 723) und die Eidgenössische Steuerverwaltung haben über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg die Fiktion des Tätigkeitsorts leitender Angestellter nicht nur auf Art. 15 Abs. 4 DBA Schweiz 1992, sondern auch auf Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA Schweiz 1992 bezogen.
Daraus zieht der BFH die Erkenntnis eines Völkergewohnheitsrechts, das auf die Abkommensauslegung durchschlage und dagegen geäußerte Kritik ebenso in den Hintergrund stelle wie eine mittlerweile geänderte Verwaltungsauffassung in Deutschland.
Infolge dieser Besonderheiten von Art. 15 Abs. 4 DBA Schweiz 1992 sieht sich der BFH auch berechtigt, gegenüber seinem sog. Binnenschiffer-Urteil vom 22.10.2003, I R 53/02 (BFH-PR 2004, 160) abzugrenzen, aus dem sich Gegenteiliges entnehmen lässt, das allerdings bezogen (nur) auf Art. 15 Abs. 3 DBA Schweiz 1992, nicht dessen Abs. 4.
4. Für andere einschlägige DBA, die Deutschland abgeschlossen hat, ist das alles ganz überwiegend nicht maßgeblich. Diese DBA sind anderen Inhalts: Sie bestimmen i.d.R. das Arbeitsortprinzip des Art. 15 Abs. 1 OECD-Musterabkommen auch für Kapitalgesellschafts-Organe. Es gibt aber auch Ausn...