Rn. 46
Stand: EL 151 – ET: 06/2021
Der EuGH hat mit seiner Rspr mittlerweile entscheidenden Einfluss auf die Regelungen der §§ 1 u 1a EStG genommen. Das wird insb bei der Frage der Vereinbarkeit der nationalen Bestimmungen mit dem Gemeinschaftsrecht in Bezug auf die ArbN-Freizügigkeit (Art 45 AEUV, ex Art 39 EG), die Niederlassungsfreiheit (Art 49 AEUV, ex Art 43 EG) sowie Dienstleistungsfreiheit (Art 56 AEUV, ex Art 49 EG) deutlich.
Durch den Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht sind die Grundsätze der EuGH-Rspr in die nationale Rspr umzusetzen; allerdings bieten die Einzelfallentscheidungen des EuGH auch Entscheidungsspielraum für die Mitgliedstaaten.
Die Grundsatzentscheidungen haben vor allem die Rechte der beschränkt StPfl (Nicht-Ansässige), auch derjenigen mit der Staatsangehörigkeit des jeweiligen Quellenstaats dahingehend beeinflusst, dass die Behandlung zunehmend der Besteuerung der unbeschränkt StPfl angeglichen wurde.
Den Mitgliedstaaten der EU obliegt grundsätzlich das Recht, direkte Steuern zu erheben. Dabei darf von der Steuerhoheit nur insoweit Gebrauch gemacht werden, als dass die Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts nicht eingeschränkt werden. Damit soll die – offene oder versteckte – Diskriminierung und Schlechterstellung von StPfl aus anderen EU-Staaten hinsichtlich der Berücksichtigung von Steuervergünstigungen, zB dem Abzug von SA oder dem Steuersatz, verhindert werden.
Zwar sieht es der EuGH in Anbetracht der objektiven Unterschiede zwischen der Situation der Gebietsansässigen und derjenigen der Gebietsfremden hinsichtlich der Einkunftsquelle, der persönlichen Steuerkraft sowie der persönlichen Lage und des Familienstands im Allg nicht als diskriminierend an, wenn ein Mitgliedstaat Gebietsfremden bestimmte Steuervergünstigungen versagt, die er Gebietsansässigen gewährt (vgl Fall "Schumacker" EuGH v 14.02.1995, C-279/93, Slg 1995, I-225 Rz 31, 32 und 34; Fall "Gschwind" EuGH v 14.09.1999, C-391/97, Slg 1999, I-5451 Rz 22 und 23). Eine unzulässige Diskriminierung liegt jedoch dann vor, wenn der Mitgliedstaat bei Gebietsfremden die Bruttoeinkünfte ohne Abzug der BA besteuert, während bei Gebietsansässigen die Nettoeinkünfte nach Abzug der BA besteuert werden (Fall "Gerritse" EuGH v 12.06.2003, C-234/01, BStBl II 2003, 859). In der "Scorpio"-Entscheidung (EuGH v 03.10.2006, C-290/04, BStBl II 2007, 352) hat der EuGH zudem hervorgehoben, dass es mit EU-Recht unvereinbar ist, wenn der Schuldner einer Abzugsteuer im Steuerabzugsverfahren die ihm mitgeteilten, im unmittelbaren Zusammenhang mit der zu Einkünften führenden Tätigkeit stehenden BA nicht steuermindernd geltend machen kann (s hierzu auch BFH v 24.04.2007, I R 39/04, BStBl II 2008, 95).
Auch ist es nach Auffassung des EuGH nicht zulässig, dass StPfl, die im Wohnsitzstaat keine oder nur geringe Einkünfte erzielen und ihr zvE im Wesentlichen aus der Tätigkeit im Beschäftigungsstaat erwirtschaften, dort keine an die Person gebundenen Vergünstigungen erfahren (vgl Fall "Schumacker" EuGH v 14.02.1995, C-279/93, Slg 1995, I-225 Rz 34 und 36 oder Fall "Wallentin" EuGH v 01.07.2004, C-169/03, Slg 2004, I-6443 Rz 16 und 17); zur Konstellation, dass der StPfl in mehreren Quellenstaaten Einkünfte erzielt und in keinem dieser Staaten für sich betrachtet die 90 %-Grenze erreicht s Fall "X" EuGH v 09.02.2017, C-283/15, und Schmidt-Hess, IStR 2017, 549. In seiner Entscheidung im sog "Wielockx-Fall" (EuGH v 11.08.1995, C-80/94, Slg 1995, I-2493 Rz 20–22) hat der EuGH bekräftigt, dass ein gebietsfremder StPfl, der seine gesamten oder nahezu seine gesamten Einkünfte in dem Staat erzielt, in dem er seine berufliche Tätigkeit ausübt, nicht dahingehend diskriminiert werden darf, dass ihm Abzüge von seinem Einkommen unter denselben steuerlichen Bedingungen wie bei einem gebietsansässigen StPfl verwehrt werden.
Im Fall "Asscher" (EuGH v 27.06.1996, C-107/94, Slg 1996 I-3089) hat der EuGH entschieden, dass StPfl eines Mitgliedstaats, die im Ausland ansässig sind, gegenüber ihrem Herkunftsland, in dem sie selbständig erwerbstätig sind, den Schutz vor Diskriminierungen beanspruchen können. Eine sachliche Verknüpfung der Tätigkeiten im Herkunftsland und im Ansässigkeitsstaat soll nicht erforderlich sein. Es soll ausreichend sein, wenn sich das Ergebnis der Tätigkeiten in einem der Staaten bei der Berechnung der ESt auswirkt.
Rn. 47
Stand: EL 151 – ET: 06/2021
Mittlerweile sind etwaige unionsrechtliche Bedenken gegenüber § 1 EStG durch die Anpassung von § 1 Abs 3 EStG und die Einführung von § 1a EStG als Ergänzungsvorschrift weitgehend ausgeräumt. Danach werden sog Grenzpendlern aus EU-Mitgliedstaaten, die ihre wesentlichen Einkünfte in Deutschland erzielen, ungeachtet sonstiger Regeln des internationalen Steuerrechts dieselben persönlichen Abzüge und Tarifvergünstigungen (insb Zusammenveranlagung mit Splitting-Tarif) wie unbeschränkt StPfl gewährt (hierzu s Rn 118ff). Zu derzeit noch bestehenden Fragen s Gosch in Kirchhof, § 1 EStG Rz 3.
Rn. 48–5...