Rn. 331
Stand: EL 159 – ET: 08/2022
Der Erlass eines Haftungsbescheids gegen den Haftungsschuldner nach § 10b Abs 4 S 2 EStG erfolgt in der Regel wegen des Sachzusammenhangs durch das für die Besteuerung des Zuwendungsempfängers örtlich zuständigen BetriebsstättenFA (AEAO zu § 24 Nr 1 S 1, 2 AO). Ist der Zuwendungsempfänger im Ausland ansässig und wird im Inland nicht steuerlich geführt, erfolgt der Erlass des Haftungsbescheids durch das für die Besteuerung des Zuwendenden zuständige FA (Brandl in Brandis/Heuermann, § 10b EStG Rz 155 (Mai 2021).
Das FA hat zunächst festzustellen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftungsnorm in der Person erfüllt sind, gegen die ein Haftungsbescheid ergehen soll. Erfolgt eine gerichtliche Überprüfung des Haftungsbescheids, ist derjenige Sach- und Streitstand zugrunde zu legen, wie er sich am Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht darstellt, BFH v 20.09.2016, X R 36/15, BFH/NV 2017, 593.
Bei der Entscheidung des FA darüber, ob und in welcher Höhe und ggf gegen welchen von mehreren Haftungsschuldnern der Haftungsanspruch geltend gemacht wird, handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, BFH v 20.09.2016, X R 36/16, aaO. Diese Ermessensentscheidung unterliegt nach Maßgabe des § 102 FGO nur der eingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung; dabei ist für die Überprüfung der Ermessensentscheidung die tatsächliche und rechtliche Situation im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgebend, BFH v 20.09.2016, X R 36/16, aaO.
§ 191 Abs 1 AO räumt der Behörde ein Entschließungsermessen hinsichtlich der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners ein. Im Falle des § 10b Abs 4 S 2 EStG ist bei der Frage, ob ein Haftungsbescheid zu erlassen ist, ua die in den fehlerhaft ausgestellten Spendenbescheinigungen ausgewiesene Höhe der Spenden, die Anzahl der Verstöße und die Art der Verstöße zu berücksichtigen, FG Mchn v 24.02.2015, 6 K 2999/14, EFG 2016, 1233; nach aA FG He v 14.01.1998, 4 K 2594/94, EFG 1998, 128; FG BBg v 04.03.2014, 6 K 9244/11, EFG 2014, 989 soll aufgrund des Legalitätsprinzips (§ 85 AO) grundsätzlich eine Verpflichtung des FA bestehen, die Körperschaft in Haftung zu nehmen, die eine falsche Zuwendungsbestätigung erteilt hat. Das Legalitätsprinzip (§ 85 AO) gilt jedoch nur für die Steuerfestsetzung, nicht aber für den Erlass eines Haftungsbescheids, es kann jedoch eine Ermessensreduzierung auf Null gegeben sein, wenn eine Vielzahl von – groben – Verstößen gegeben ist, Brandl in Brandis/Heuermann, § 10b EStG Rz 145a (Mai 2021). Auch wenn der Aussteller die unrichtige Zuwendungsbescheinigung vorsätzlich falsch ausgestellt hat, ist eine Vorprägung des Ermessens gegeben, vgl BFH v BStBl II 2009, 478 zu einer Inanspruchnahme des vorsätzlich handelnden ArbG nach § 42d Abs 3 EStG.
Sind mehrere Haftende vorhanden, hat das FA ein weites Auswahlermessen bei der Inanspruchnahme des Haftenden; dabei ist es regelmäßig nicht zu beanstanden, die Haftenden als Gesamtschuldner in Anspruch zu nehmen (Seer in Kirchhof/Seer, § 10b EStG Rz 77 (21. Aufl)), etwas anderes gilt jedoch im Bereich der Veranlasserhaftung (§ 10b Abs 4 S 4 EStG), ausführlich dazu s Rn 300.