Rn. 32
Stand: EL 166 – ET: 08/2023
§ 15a Abs 1 S 3 EStG schließt eine Erweiterung der Verlustausgleichs- und -abzugsfähigkeit auch dann aus, wenn "eine Vermögensminderung aufgrund der Haftung... nach Art und Weise des Geschäftsbetriebs unwahrscheinlich ist". Dem Aspekt der "Unwahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme" kommt um so größere Bedeutung zu, je mehr die im HR eingetragene Hafteinlage die Pflichteinlage übersteigt.
Gegen diese vage Gesetzesformulierung wurden im Schrifttum ua folgende Einwände erhoben:
- "Feststellung ... wird zum Lotteriespiel ...": Messmer, BB 1981, Beilage 1, 14;
- "Die Anwendung der Formulierung... ist nur mit Rätselraten zu bewältigen": Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 6. Aufl 1987, 385;
- Grenze der "Gesetzmäßigkeit der Verwaltung"... überschritten: Döpfer, DB 1981, 1027, 1028.
Der Zweck der Vorschrift ist Missbrauchsverhütung (vgl Bordewin/Söffing/Uelner, Verlustverrechnung bei negativem Kapitalkonto, 1980, 59). Dies ergibt sich schon aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 8/3648, 16), wo es heißt:
Zitat
"Um Missbräuche zu verhindern, wird durch Abs 1 S 1 die erweiterte Verlustverrechnung ausgeschlossen, wenn ... eine Vermögensminderung ... nach Art und Weise des Geschäftsbetriebs der Gesellschaft unwahrscheinlich ist. Diese zusätzliche Voraussetzung ist erforderlich, weil Verlustzuweisungsmodelle bekannt geworden sind ..."
Die Vorschrift ist somit nur bei Missbrauchsgefahr anzuwenden und erfordert eine entsprechend enge Auslegung (glA Lüdemann in H/H/R, Rz 127, EL 9/2017, § 5a EStG Rz 43; Schicketanz, Die Neuregelung der Einkommensbesteuerung der Mitunternehmer, 1980, 84).
Der BMF dagegen legte in einem zwischenzeitlich überholten Schreiben (BMF BStBl I 1981, 308 Tz 7 und 8) die Vorschrift extensiv aus:
Danach musste die Haftung, damit sie berücksichtigungsfähig war, mit einem "wirtschaftlich ins Gewicht fallenden Risiko verbunden sein" (so auch EStÄR 1988, Abschn 138d Abs 3 S 9). Dies ist vom Bilanzstichtag aus zu beurteilen und erfordert eine Prognose künftiger Risiken, die notwendigerweise unsicher sein muss. Bp und Verwaltungsbeamte werden so "zu Wesen höherer Art" befördert (Mittelsteiner, DStR 1981, 363, 364). Nach Aussage von Grewe/Rüber, DB 1989, 1157, 1162, war in der Praxis die Tendenz festzustellen, dass die Bp (statt restriktiver Anwendung nur auf Verlustzuweisungsgesellschaften) die Vorschrift strikt auf alle KG anwendete. Die FinVerw forderte zur Beurteilung der Wahrscheinlichkeit des Risikos eine allgemeine, umfassende Liquiditäts- und Bonitätsprüfung unter Einbezug von Pflichteinlage und Haftsumme in Bezug auf den gesamten Finanzierungsbedarf. Bei in sich geschlossener Finanzierungskonzeption bestand nach Verwaltungsauffassung keine Gefahr einer Vermögensminderung. Hierzu brachte Söffing, DB 1981, 1635 folgendes Bsp:
Beispiel:
"Der Geschäftsbetrieb der X-OHG besteht in der Errichtung und Vermietung eines Geschäftshauses. Nach dem Prospekt, mit dem die Anlegerkommanditisten geworben worden sind, ist vorgesehen, dass für den Erwerb des Grund und Bodens und die Herstellung des Gebäudes ein Betrag von 12 Mio DM erforderlich ist. Davon sollen 3 Mio DM durch Kommanditeinlagen finanziert werden. Die voraussichtlichen Mieteinnahmen werden auf 1 Mio DM jährlich geschätzt. Die Betriebsausgaben sollen voraussichtlich jährlich 900 000 DM Verzinsung und Tilgung der Kredite und 100 000 DM laufende Kosten betragen. An der KG beteiligen sich 10 Kommanditisten mit einer Hafteinlage von je 700 000 DM. Tatsächlich gezahlt werden jedoch von jedem Kommanditisten nur 300 000 DM Einlage. Die höhere Hafteinlage war notwendig, weil nur dadurch die Kreditmittel zu erlangen waren."
Nach Ansicht der FinVerw konnten wegen der geschlossenen Finanzierungskonzeption jedem Kommanditisten ausgleichs- bzw abzugsfähige Verluste nur bis zur Höhe von 300 000 DM zugewiesen werden.
Eine Erweiterung des Verlustausgleichspotentials aufgrund überschießender Außenhaftung war nach Auffassung der FinVerw somit nur in seltenen Ausnahmefällen gegeben, nämlich bei voraussichtlichen "konkret" erkennbaren Schwierigkeiten; die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme wird am Bilanzstichtag (EStÄR 1987, Abschn 138d Abs 3 S 10) am Endergebnis gemessen (sog Wertaufhellungstheorie).
Die hier stets vertretene Auffassung, dass die Auslegung der Vorschrift durch die FinVerw den erweiterten Verlustausgleich zu stark einschränke, indem sie die Risiken nur stichtagsbezogen gewichtete, wurde bestätigt durch das Urteil des VIII. Senats (BHF vom 14.05.1991, BStBl II 1992, 164; glA FG Nds EFG 1993, 27).
Leitsatz Nr 1 zu diesem Urteil lautet wie folgt:
Zitat
"Die Anwendung des § 15a Abs 1 Satz 2 EStG (erweiterter Verlustausgleich) ist gemäß Satz 3 der Vorschrift nur dann ausgeschlossen, wenn die finanzielle Ausstattung der Gesellschaft und deren gegenwärtige sowie voraussichtlich zukünftige Liquidität im Verhältnis zum nach dem Gesellschaftsvertrag festgelegten Gesellschaftszweck und dessen Umfang so außergewöhnlich günstig sind, das...