Rn. 2010
Stand: EL 148 – ET: 12/2020
Der Freibetrag wird nur einmal gewährt, auch wenn sich der Veräußerungs- oder Aufgabegewinn auf mehr als einen VZ verteilt (Jacobsen in Fuhrmann/Kraeusel/Schiffers, § 16 EStG Rz 296 (01.11.2017); BMF v 20.12.2005, BStBl I 2006, 7, unter I.). Führt der Gewinn im zweiten oder darauffolgenden VZ dazu, dass aufgrund der Obergrenze nach S 3 keiner oder nur noch ein geringerer als der im ersten VZ des Veräußerungsgewinns in Anspruch genommene Freibetrag, liegt nach zutreffender Auffassung ein rückwirkendes Ereignis iSd § 175 Abs 1 S 1 Nr 2 AO vor, so dass rückwirkend der in Anspruch genommene Freibetrag zu korrigieren ist (BMF v 20.12.2005, BStBl I 2006, 7, unter I.).
Rn. 2011
Stand: EL 148 – ET: 12/2020
Die Beantwortung der Frage, wie der Freibetrag auf zwei oder mehr VZ zu verteilen ist, kann aufgrund des progressiven Steuersatzes die Gesamtsteuerlast der betroffenen VZ beeinflussen. Hierzu werden unterschiedlicher Auffassungen vertreten. Die FinVerw möchte den Freibetrag im Verhältnis der auf die VZ entfallenden Gewinnanteile aufteilen (BMF v 20.12.2005, BStBl I 2006, 7, unter I.; ebenso Stahl, KÖSDI 2006, 15 125). Nach aA ist der Freibetrag von VZ zu VZ aufzubrauchen (Graw in K/S/M, § 16 EStG Rz I25 (Dezember 2017); Wacker in Schmidt, § 16 EStG Rz 584 (39. Aufl); Schallmoser in Blümich, § 16 EStG Rz 673 (Juli 2019)), während Kanzler dem StPfl ein Wahlrecht einräumen möchte (Kanzler, DStR 2009, 400). Für Letzteres fehlt es mE an einer gesetzlichen Grundlage. Mit dem Wortlaut am ehesten vereinbar ist der fortlaufende Verbrauch des Freibetrags, denn § 16 Abs 4 S 1 EStG geht mE davon aus, dass ein Veräußerungsgewinn zunächst möglichst vollständig um den Freibetrag zu kürzen ist, bevor er der ESt unterliegt. Die Unterschiede zeigen sich an folgendem Beispiel
Beispiel: Aufteilung des Freibetrags über mehrere VZ
X veräußert seinen Betrieb und erzielt einen Gewinn von 82 000, der sich auf zwei VZ wie folgt verteilt. Außerdem hat er in jedem Jahr Sonderausgaben von 15 000. Der Grundfreibetrag sei 9 500.
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Prozentuale Aufteilung |
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Fortlaufender Verbrauch |
|
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VZ 01 |
VZ 02 |
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VZ 01 |
VZ 02 |
Gesamt |
Veräußerungsgewinn |
54 000 |
28 000 |
|
54 000 |
28 000 |
82 000 |
Freibetrag |
./. 29 634 |
./. 15 366 |
|
./. 45 000 |
0 |
45 000 |
Gesamtbetrag der Einkünfte |
= 24 366 |
= 12 634 |
|
= 9 000 |
= 28 000 |
|
Sonderausgaben |
./. 15 000 |
./. 15 000 |
|
./. 15 000 |
./. 15 000 |
|
Einkommen |
= 9 366 |
– |
|
– |
= 13 000 |
|
In dem Beispiel führt die vom BMF bevorzugte Aufteilung des Freibetrags nach dem Verhältnis der Gewinnteile zu keiner Steuerlast (nach Abzug des Grundfreibetrags) und damit insgesamt zu einer Besserstellung; die Aufteilung nach fortlaufendem Verbrauch führt dazu, dass sich im ersten Jahr die Sonderausgaben nicht mehr auswirken, dafür in VZ 02 ein höherer zu versteuernder Gewinn verbleibt.
Rn. 2012
Stand: EL 148 – ET: 12/2020
Es sind allerdings auch Sachverhalte dankbar, bei denen der fortlaufende Verbrauch günstiger ist, zB dann, wenn bei insgesamt hohen Einkünften nur die vollständige Berücksichtigung in einem Jahr zu einem Progressionsvorteil in VZ 01 führt.