Dr. jur. Lukas Karrenbrock
Rn. 80
Stand: EL 167 – ET: 09/2023
Nach dem Gesetzeswortlaut des § 17 Abs 1 S 3 EStG fallen "Anwartschaften auf solche Beteiligungen" unter den Begriff der Anteilsrechte. Ein steuerrechtlich eigenständiges Verständnis der im Zivilrecht entwickelten Figur des Anwartschaftsrechts besteht nicht. Der Begriff "Anwartschaft" ist nach der zivilrechtlichen Definition "eine rechtlich bereits mehr oder weniger gesicherte Aussicht auf den Anfall eines subjektiven Rechts, insbesondere einer Forderung oder eines dinglichen Rechts, die darauf beruht, dass der normale Erwerbstatbestand eines solchen Rechts schon teilweise verwirklicht ist und seine Vollendung mit einiger Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann" (vgl BFH vom 19.12.2007, VIII R 14/06, BStBl II 2008, 475 mwN). Demzufolge ist die Besteuerung der Veräußerung einer Anwartschaft gemäß § 17 Abs 1 S 1 EStG gerechtfertigt, wenn und soweit der Veräußerer den bei der KapGes eingetretenen Zuwachs an Vermögenssubstanz bzw das wirtschaftliche Verwertungspotenzial eines Anteils an einer KapGes realisiert (BFH vom 19.12.2007, aaO).
Unklar ist, was aus steuerrechtlicher Sicht unter einer Anwartschaft iSd § 17 Abs 1 S 3 EStG zu verstehen ist. In der Literatur wird die Ansicht vertreten, dass unter dem Begriff der Anwartschaft nur Ansprüche zu verstehen sind, die sich gegen die Gesellschaft richten, also eine vertikale Ausrichtung haben (Pung in D/P/M, § 17 EStG Rz 171). Nach Ansicht des BFH fallen unter den Begriff der Anwartschaft darüber hinaus auch solche Ansprüche gegen Mitgesellschafter auf die Übertragung von deren Anteilen (sog horizontale Ausrichtung, vgl BFH vom 19.12.2007, VIII R 14/06, BStBl II 2008, 475).
a) Bezugsrechte
Rn. 81
Stand: EL 167 – ET: 09/2023
Bezugsrechte sind alle schuldrechtlichen oder dinglichen Rechte auf Erwerb eines Anteils an einer KapGes, zB kraft Gesetzes bei Kapitalerhöhung einer AG gemäß § 186 AktG. Bei einer GmbH kann kraft Satzung oder Kapitalerhöhungsbeschluss ein Bezugsrecht eingeräumt werden. Die Veräußerung von Bezugsrechten aus einer beschlossenen Kapitalerhöhung kann daher auch nach § 17 Abs 1 S 3 EStG Gegenstand einer steuerbaren Veräußerung sein (BFH vom 20.02.1975, IV R 15/71, BStBl II 1975, 505; H 17 Abs 4 EStH 2021 "Bezugsrechte").
Nach der Abspaltungstheorie des BFH ist das Bezugsrecht ein von der Substanz der alten Aktie abgespaltenes Recht. Durch die Ausgabe neuer Aktien würden die Rechte der Alt-Aktionäre "verwässert", wenn dem Altaktionär kein Bezugsrecht zustehen würde. Das in der Aktie als umfassendes Mitgliedschaftsrecht neben anderen Einzelrechten, wie zB dem Stimmrecht, enthaltene virtuelle Bezugsrecht wird durch den Kapitalerhöhungsbeschluss in der Weise konkretisiert, dass die alte Aktie an Substanz verliert und ein Teil des WG Aktie aus ihm ausscheidet. Demnach verkörpert das Bezugsrecht seinem wirtschaftlichen Gehalt nach, sofern die jungen Aktien zu einem unter dem Wert der alten Aktien von der Kapitalerhöhung liegenden Ausgabekurs begeben werden, "einen Teil der Substanz der Gesellschaft, die bis dahin durch die alten Aktien allein repräsentiert wurde" (BFH vom 20.02.1975, aaO).
Diese Ausführungen gelten sinngemäß für ein Bezugsrecht auf GmbH-Geschäftsanteile. Die Einbeziehung der Bezugsrechte in den Begriff der Anteile an einer KapGes iSd § 17 EStG entspricht auch dem Wesen derartiger Bezugsrechte, insbesondere ihrem wirtschaftlichen Gehalt und dem erkennbaren Zweck des § 17 EStG. Dieser besteht vorwiegend darin, die Realisierung einer Wertsteigerung zB von Aktien oder GmbH-Geschäftsanteilen, die durch den Zuwachs der KapGes an Vermögen, zB infolge der Thesaurierung von Gewinnen, an Ertragskraft entstanden ist, bei StPfl mit Beteiligungen bestimmter Größenordnung ESt-rechtlich zu erfassen (BFH vom 20.02.1975, aaO).
b) Call-Option
Rn. 82
Stand: EL 167 – ET: 09/2023
Durch die Rspr des BFH ist geklärt, dass auch eine schuldrechtliche Call-Option auf den Erwerb einer Beteiligung eine Anwartschaft iSd § 17 Abs 1 S 3 EStG begründet, wenn und soweit sie die wirtschaftliche Verwertung des bei der KapGes eingetretenen Zuwachses an Vermögenssubstanz ermöglicht (BFH vom 19.12.2007, VIII R 14/06, BStBl II 2008, 475; H 17 Abs 2 EStH 2021 "Optionsrecht"). Dies ist zutreffend, da eine Kaufoption dem StPfl die Möglichkeit gibt, sich Wertsteigerungen ab Einräumung der Option zu verschaffen und diese ggf durch Veräußerung der Option zu realisieren. Dabei ist es nach dem Regelungszweck des § 17 EStG unerheblich, ob das Optionsrecht gegenüber der KapGes oder gegenüber einem Dritten besteht; der Optionsberechtigte kann sich in beiden Fällen den Vermögenszuwachs der Anteile verschaffen (Frotscher/Moritz/Strohm in Frotscher/Geurts, § 17 EStG Rz 52 (April 2021); aA Schweyer, BB 1999, 1732).
c) Zahlungen für die Aufgabe eines Anwartschaftsrechts
Rn. 83
Stand: EL 167 – ET: 09/2023
Nach der Rspr des BFH ist eine Ausgleichszahlung für die Aufgabe eines Anwartschaftsrechts nicht nach § 17 EStG stpfl, wenn der Anwartschaftsberechtigte zu keinem Zeitpunkt an der Gesellschaft (auch nicht wirtschaftlich) beteiligt war (BFH vom 19.02.201...