Dr. jur. Lukas Karrenbrock
Rn. 330
Stand: EL 167 – ET: 09/2023
Neben den Abs 1–3 des § 17 EStG normiert Abs 4 drei gesetzliche Fiktionen, die der Veräußerung gleichgestellt werden. Kennzeichnend für alle Fiktionen ist, dass – zumindest in Teilen – eine Rückzahlung von EK der KapGes an den Gesellschafter vorgenommen wird. Durch die sprachliche Neufassung des § 17 Abs 4 EStG aufgrund des SEStEG gelten
- die Auflösung einer KapGes (s Rn 341ff),
- die Herabsetzung bei Rückzahlung des Nennkapitals (s Rn 371ff) und
- die Auskehrung aus dem steuerlichen Einlagekonto iSd § 27 KStG (s Rn 381ff)
als Veräußerung iSd § 17 Abs 1 EStG.
Rn. 331
Stand: EL 167 – ET: 09/2023
Zuvor wurde mit § 17 Abs 4 EStG lediglich eine entsprechende Anwendung des § 17 Abs 1–3 EStG angeordnet (Ersatzrealisationstatbestand); eine tatbestandliche Erweiterung des § 17 Abs 4 EStG ist mit der sprachlichen Neufassung durch das SEStEG jedoch nicht verbunden (Schmidt in H/H/R, 17 EStG Rz 260(August 2018)). Hintergrund der Neuformulierung ist, dass nach Art 10d Fusionsrichtlinie vom 17.02.2005 (Richtlinie 2005/19/EG des Rates zur Änderung der Richtlinie 90/434/EWG) der Ansässigkeitsstaat eines Gesellschafters "Veräußerungen" besteuern darf, nicht aber Gewinne aus Ersatztatbeständen. Es ist jedoch fraglich, ob durch die sprachliche Neufassung in § 17 Abs 4 EStG der Begriff der Veräußerung gemäß Fusionsrichtlinie unilateral erweitert werden kann (Frotscher/Moritz/Strohm in Frotscher/Geurts, § 17 EStG Rz 324 (April 2021)).
Rn. 332
Stand: EL 167 – ET: 09/2023
Während nach der alten Formulierung des § 17 Abs 4 EStG ("entsprechende Anwendung") zweifelhaft war, ob für die Ersatzrealisationstatbestände der Freibetrag nach § 17 Abs 3 EStG in Anspruch genommen werden kann (FG BBg vom 15.07.2008, 7 V 7083/08, EFG 2008, 1956), ist dies nach der heutigen Rechtslage – Veräußerung wird fingiert – zweifelsfrei der Fall (glA Frotscher/Moritz/Strohm in Frotscher/Geurts, § 17 EStG Rz 325 (April 2021)).
Rn. 333
Stand: EL 167 – ET: 09/2023
Ebenso wie der Tatbestand des § 17 Abs 1 EStG erfasst § 17 Abs 4 EStG auch ausländische KapGes, wenn das jeweilige DBA der Bundesrepublik das Besteuerungsrecht zubilligt (BFH vom 30.03.1993, VIII R 44/90, BFH/NV 1993, 597). Dies ist regelmäßig der Fall, da Art 13 Abs 5 OECD-MA das Besteuerungsrecht dem Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters zuweist (nur wenige DBA weisen das Besteuerungsrecht dem Ansässigkeitsstaat der KapGes zu (zB Tschechien, Slowakei, Zypern).
Dass idR der Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters das Besteuerungsrecht für die Gewinne gemäß § 17 Abs 4 EStG hat, ist auch bei Umwandlungen einer ausländischen KapGes in eine PersGes zu beachten. Dies gilt insbesondere dann, wenn nach dem ausländischen Gesellschaftsrecht die Umwandlung nicht identitätswahrend, sondern als Auflösung gewertet wird (BFH vom 22.02.1989, I R 11/85, BStBl II 1989, 794; Schönfeld, FR 2007, 436; Kopec/Wellmann, IStR 2016, 65).
§ 17 Abs 4 EStG ist auch für beschränkt StPfl anwendbar, wenn die KapGes Sitz oder Geschäftsleitung im Inland hat (§ 49 Abs 1 Nr 2 Buchst e EStG).
Rn. 334
Stand: EL 167 – ET: 09/2023
Vorrangig vor der Anwendung des § 17 Abs 4 EStG (und von dessen Fiktionen abzugrenzen) sind
- Ausschüttungen, die zu Einkünften aus KapVerm gemäß § 20 Abs 1 Nr 1 und 2 EStG führen. Deren Vorrangigkeit ist dadurch gerechtfertigt, dass die von der KapGes erwirtschafteten Vermögensmehrungen auch im Zuge einer Auflösung der KapGes oder Kapitalherabsetzung realisiert werden können (Jäschke in Lademann, § 17 EStG Rz 290 (231. EL)), und
- vGA, die gemäß § 17 Abs 4 S 1 iVm S 3 EStG ebenfalls vorrangig sind.
Wenn Gewinne für vorangegangene Wj erst nach der Auflösung der Gesellschaft beschlossen worden sind, stellen diese keine Liquidationsraten, sondern weiterhin laufende Einkünfte iSd § 20 EStG dar (BFH vom 12.09.1973, I R 9/72, BStBl II 1974, 14). Nur die Kapitalrückzahlung als solche wird mit der Anteilsveräußerung gleichgestellt.
Rn. 335
Stand: EL 167 – ET: 09/2023
Für die Einkünfte aus KapVerm ist die ESt durch den 25 %igen KapSt-Abzug abgegolten (§ 43 Abs 1 Nr 1 EStG iVm § 43 Abs 5 EStG). Aufgrund des Zuflussprinzips des § 11 EStG sind die Kapitaleinkünfte in dem VZ zu versteuern, in dem sie dem Gesellschafter zugeflossen sind. IRd Gestaltungsberatung ist ggf darauf zu achten, dass die (positiven) Einkünfte aus KapVerm im gleichen VZ wie der Auflösungsverlust des § 17 Abs 4 S 1 und 2 EStG realisiert werden.
Bei einer Option gemäß § 32d Abs 2 Nr 3 EStG gilt auch für die Einkünfte aus KapVerm das Teileinkünfteverfahren. Ob eine Option sinnvoll ist, hängt vom Einzelfall und insbesondere von den Finanzierungskosten ab.
Beispiel (nach Eller, SteuK 2013, 96):
Gesellschafter G ist mit einem Anteil von EUR 70 000 (35 %) an der aufgelösten GmbH beteiligt. Die AK betragen EUR 80 000, der auf G entfallende Anteil am steuerlichen Einlagekonto gemäß § 27 KStG EUR 30 000. Die auf G entfallende Schlussrate iRd Abwicklung der Gesellschaft beträgt EUR 266 000.
Lösung:
G erzielt Einkünfte aus KapVerm gemäß § 20 EStG und ...