Markus Fahsel, Maik Bergan
1. Übertragung der Vermögensbeteiligung (§ 19a Abs 4 S 1 Nr 1 EStG)
Rn. 106
Stand: EL 157 – ET: 04/2022
Nach § 19a Abs 4 S 1 Nr 1 EStG führt zunächst die (ganz oder teilweise entgeltliche oder unentgeltliche) Übertragung der Vermögensbeteiligung zur nachträglichen Besteuerung, wobei der Gesetzgeber hierbei beispielhaft ausdrücklich auch die Fälle der §§ 17 Abs 4 u 20 Abs 2 S 2 EStG (s § 17 Rn 330ff (Karrenbrock) und s § 20 Rn 1393ff (Möllenbeck)) sowie der Einlagen in ein BV (vgl § 4 Abs 1 S 8 EStG; s § 4 Rn 275ff (Briesemeister)) benennt.
Rn. 107
Stand: EL 157 – ET: 04/2022
§ 19a Abs 1 S 1 EStG spricht davon, dass die Vermögensbeteiligung "übertragen" werden muss. Damit weicht sie von der Formulierung in § 3 Nr 39 EStG ab, die von der "Überlassung" von Vermögensbeteiligungen spricht. Trotz der unterschiedlichen Wortwahl ist jedoch uE eine inhaltliche Differenzierung nicht zu bejahen. Gemeint ist in beiden Fällen der Zeitpunkt, in dem das – zumindest wirtschaftliche (§ 39 Abs 2 Nr 1 AO) – Eigentum an der Beteiligung auf einen Dritten übergeht (vgl BFH v 23.06.2005, VI R 10/03, BStBl II 2005, 770 Rz 24 sowie allgemein BFH v 01.12.2020, VIII R 40/18, Rz 30; BMF v 16.11.2021, BStBl I 2021, 2308 Rz 25 ff zu § 3 Nr 39 EStG). Es kann hier nichts anderes gelten als bei der Übertragung auf den ArbN nach § 19a Abs 1 S 1 EStG, s Rn 18 u 64.
Die Übertragung kann unentgeltlich (zB Schenkung) oder entgeltlich (Veräußerung, BFH v 17.11.2020, VIII R 20/18, BStBl II 2021, 378 Rz 19 mwN) erfolgen. Der Zweck des § 19a EStG, die Besteuerung von "dry-income" zu vermeiden (s Rn 1), wird im Fall einer unentgeltlichen Übertragung und einer Einlage nicht erreicht. Da eine unentgeltliche Übertragung und eine Einlage idR freiwillig erfolgt, bedarf es jedoch keiner (weiteren) Privilegierung, so auch Westermann/Thor, FR 2021, 198, 203. Darüber hinaus ist die Steuerpause von der Zustimmung des ArbN abhängig, § 19a Abs 2 EStG (volenti non fit iniuria). Letztlich kann der ArbN in den Genuss weiterer steuerrechtlicher Privilegierungen gelangen, die im Fall der Sofortversteuerung nicht gewährt worden wären, vgl § 19a Abs 4 S 2 u S 4 EStG, s Rn 122 und s Rn 127 ff; Bleschick in BeckOK EStG, § 19a Rz 226 (11. Ed 01.10.2021).
Rn. 108
Stand: EL 157 – ET: 04/2022
Trotz der unglücklichen Formulierung in § 19a Abs 4 S 1 Nr 1 EStG, die von ganz oder teilweiser Übertragung spricht, ist uE eine individuelle, an die jeweilige Vermögensbeteiligung orientierte Auslegung geboten, da der Vorteil aus der jeweiligen Beteiligung Besteuerungsobjekt ist, vgl hierzu ausführlich Fahsel/Bergan, FR 2021, 729, 734 f mit Beispielen; so auch BMF v 16.11.2021, BStBl I 2021, 2308 Rz 45 mit Beispiel sowie Bleschick in BeckOK EStG, § 19a Rz 225 (11. Ed 01.10.2021).
Erhält der ArbN folglich mehrere Vermögensbeteiligungen von seinem ArbG und überträgt nur eine Vermögensbeteiligung, unterfällt nur diese § 19a Abs 4 S 1 Nr 1 EStG. Hinsichtlich der Ermittlung des nachzuversteuernden Betrages in diesen Fällen hat das BMF eine Vereinfachungsregelung getroffen, wonach davon ausgegangen wird, dass die zuerst übertragenen Vermögensbeteiligungen zuerst veräußert werden (Fifo-Prinzip, BMF v 16.11.2021, BStBl I 2021, 2308 Rz 45). Dieser pauschale Ansatz mag die Bestimmung der Besteuerungsgrundlagen in unklaren Einzelfällen praktikabler machen, steht aber naturgemäß in einer gewissen Spannung zur oben genannten individuellen Betrachtungsweise; zu Recht lässt das BMF dann auch den Nachweis eines anderen Geschehensablaufs zu.
Gerade im Falle der Veräußerung von Geschäftsanteilen an einer – bei Startups häufig verwendeten – GmbH ist zu berücksichtigen, dass, neben den Voraussetzungen des Bestimmtheitsgrundsatzes (s BGH v 19.04.2010, II ZR 150/09, NZG 2010, 908; Servatius in Noack/Servatius/Haas, GmbH-Gesetz, § 15 Rz 22 (23. Auflage)), die Gesellschafterliste (§ 40 Abs 1 GmbHG) zur Verfügung steht; so sind Geschäftsführer bzw Notar (haftungsbedroht) zur Einreichung einer aktualisierten Liste beim Handeslregister ua bei Veränderungen im Gesellschafterstand verpflichtet (§ 40 Abs 1–3 GmbHG), zudem ist die Gesellschafterliste Grundlage des gutgläubigen Erwerbs (§ 16 Abs 3 GmbHG) – iRd Sachverhaltsaufklärung ist die Einsichtnahme für die Praxis dann auch dringend anzuraten, auch wenn trotz dieser Rahmenbedingungen die Liste nicht zwangsläufig die tatsächliche materielle Rechtslage widerspiegelt (BGH v 10.11.2020, II ZR 211/19, DStR 2021, 177, 179: "Materielle und formale Gesellschafterstellung können entkoppelt sein", hierzu ua Bayer/Horner/Möller, GmbHR 2022, 1, 5f).
Beispiel (nach BMF v 16.11.2021, BStBl I 2021, 2308 Rz 45 mit Ergänzung):
Im März 2022 und März 2023 überlässt der ArbG seinem ArbN unentgeltlich jeweils 100 Aktien (alternativ: jeweils 10 GmbH-Geschäftsanteile). Für das Jahr 2022 beträgt der nicht besteuerte Vorteil 2 000 EUR, für das Jahr 2023 2 500 EUR. Der ArbN stimmt der Besteuerung in einem späteren Zeitpunkt nach § 19a EStG zu. Im August 2026 veräußert der ArbN 150 Aktien (alternativ: 15 GmbH-Geschäftsanteile, 5 GmbH-Geschäftsanteile aus März 2022...